Performerin Doris Uhlich: "Ich halte mich nicht an das äußerliche Bild, sondern schaue, was sich anderswo bewegt. Der perfekte Tanzkörper ist für mich nicht das einzige Medium, das auf der Bühne zählt."

Foto: Doris Uhlich

In "Glanz" steht das intime Tanzvergnügen in den eigenen vier Wänden im Vordergrund: "Wo sind eingespeicherte Bewegungsmuster des Tanzes im jeweiligen Körper, welches die spezifischen Lustbewegungen der einzelnen Menschen und die verschiedenen Facetten von Tanz? Ist es ein In-sich-Hineintanzen oder ein Aus-Sich-Heraustanzen?"

Foto: Andrea Salzmann/brut

Mit "Spitze" feierte Doris Uhlich 2008 große Erfolge - sie erlernte dafür mit 30 Jahren selbst noch den Spitzentanz. Mit ihr im Rampenlicht: Ex-Primaballerina Susanne Kirnbauer und Solist Harald Baluch

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Als zu Weihnachten 1987 die Ballettserie "Anna" mit Ballerina Silvia Seidel über die Bildschirme flimmerte, hatten tausende Mädchen denselben großen Wunsch: Tänzerin zu werden. Doris Uhlich gehörte zu diesen Mädchen. Tänzerin geworden ist sie dann aber doch nicht - sondern "eine der interessantesten Wiener Nachwuchs-Tanzkünstlerinnen" ("Theater der Zeit").

Aufgewachsen in einem "15-Einwohner-Dorf" machte die gebürtige Oberösterreicherin ihre ersten Tanzschritte in Ballett, Jazztanz und Stepdance an der Musikschule in St. Georgen. Beim "ImpulsTanz"-Festival in Wien lernte sie erstmals den modernen, zeitgenössischen Tanz, jenseits des klassischen Balletttrainings, kennen. "Mit 16, 17 war klar, dass ich unbedingt beruflich etwas mit Tanz machen wollte, also hab ich in Wien geschaut, was es für Möglichkeiten gab", erzählt Uhlich. Am Konservatorium der Stadt Wien, Abteilung Tanzpädagogik, fiel sie bei der Aufnahmeprüfung mit 19 gleich mal durch: "'Zu dick und zu jung', hieß es. Ich sollte ein Jahr warten und erst abnehmen." Sie trainierte also fleißig weiter, studierte zum Drüberstreuen ein Jahr Chinesisch - und schaffte es prompt beim zweiten Anlauf.

Giraffe oder Elefant?

Ob korpulent oder nicht, das ist für die Arbeit der Performerin irrelevant: "Natürlich gibt es Tanzrichtungen, in denen ein Giraffenkörper gefragter ist als ein Elefantenkörper. Der Tanz, der nur für normierte Körper bestimmt ist, entspricht aber nicht meinem Kunstbegriff: Ich halte mich nicht an das äußerliche Bild, sondern schaue, was sich anderswo bewegt. Der perfekte Tanzkörper ist für mich nicht das einzige Medium, das auf der Bühne zählt; das kommt in meinen Arbeiten, denke ich, klar heraus. Der Profi steckt für mich auch in Laien, wenn man sinnvoll mit ihnen arbeitet - egal ob ein dicker oder ein dünner Mensch."

Die Arbeit mit Laien zieht sich wie ein "roter Faden" durch Doris Uhlichs Stücke, die auch bei Gastspielen im Ausland bereits großen Anklang fanden. Besondere Aufmerksamkeit erntete sie 2007 mit "und", dessen Ensemble aus älteren Menschen besteht, die Uhlich auf der Straße zum Mitmachen einlud: "Mich interessiert die Arbeit mit Menschen, die nicht so oft auf der Bühne gesehen werden. Manchmal denke ich mir ja, ich bin Archäologin", lacht die Choreografin, "denn mich fasziniert ein Körper, der noch nicht zu sehr eingeschrieben ist von einstudierten Tanztechniken, der noch nicht so viele Codes in sich trägt, wie man sich auf der Bühne ausdrückt und was ich da herausschälen kann."

Mikroskop aufs Alltägliche

Ihre Arbeit sei vergleichbar mit einem Mikroskop auf den alltäglichen Körper und seine Eigenheiten: "Ich arbeite mit dem 'Glanz des Alltags': In dem Moment, wo ich Dinge erkenne, die andere Leute übersehen, und ich die herausfiltern kann, ihnen ein Gewicht, Raum und Zeit geben kann und sie im Verhältnis zu anderen Dingen in die Blackbox stelle, wird es spannend. Mich interessiert das Herantasten an noch Ungeformtes und dieses Ungeformte in eine Form, eine Choreografie zu bringen. Mich interessiert Fremdes, das Nicht-Perfekte und den Perfektionismus im Instabilen zu suchen. Der Rahmen in meinen Stücken ist meist sehr klar gesteckt, nur die Körper sind nicht normiert. Genau da entsteht eine interessante Reibungsfläche, zwischen dem klaren dramaturgischen Ansatz und dem Wissen, dass die Menschen, die ihn ausführen, keine Profis sind."

Sie arbeite jedoch nicht ausschließlich mit Laien, so die Künstlerin: "Momentan ist für meine Arbeiten typisch, dass ihre äußere Form sehr unterschiedlich ist. Es gibt Stücke mit Text und ohne Text, manchmal stehe ich selbst mit auf der Bühne, manchmal nicht; ich arbeite mit Laien, aber auch mit Vollprofis wie der ehemaligen Primaballerina Susanne Kirnbauer und dem Solisten Harald Baluch in 'Spitze'."

"Spitze": Bühnentanz unter der Lupe

Für "Spitze" - eine "intensive Auseinandersetzung mit dem klassischen Tanz, seinen Menschen, seinen Hierarchien, seinen Illusionswelten und seinen Körperbildern", womit sie 2008 großen Erfolg feierte - lernte Uhlich mit 30 Jahren noch selbst den Spitzentanz. "Während des Zähneputzens habe ich ständig die Fersen gehoben, um Kraft zu bekommen im Fuß. Harald Baluch hat mir da enorm viel beigebracht. Durch meine eigene Tanzausbildung habe ich auch vieles selbst herausgefunden, aber natürlich ist es nicht unbedingt der Tanz, der mir leicht von der Hand geht. Das Spiel von Schwerelosigkeit und Wucht, mein massiver Körper auf den Schuhen, das war ein spannendes Erlebnis, ein Moment, der mich als Tänzerin und Choreografin sehr interessiert hat: Was ergibt das für ein äußeres Bild, wie fühlt sich das an, wie geht mein Tanzpartner damit um?"

"Glanz": Intimität im Tanz

In ihrem neuen Stück "Glanz", das am 2. April im Wiener "brut im Künstlerhaus" Premiere hatte, dreht Uhlich den Spieß um: Nicht die große Bühne und der strenge Bühnentanz stehen im Mittelpunkt, sondern die eigenen vier Wände als kleinste Tanzbühne und der Tanz als privates Vergnügen: "'Glanz' ist ein Stück, das bei der ganz individuellen Lust zum Tanzen, bei der Intimität im Tanz ansetzt. Ich habe vier Menschen unterschiedlichen Alters zuhause besucht und sie haben mit mir ihren unbeobachteten Tanz geteilt. Das Ganze haben wir dann im Proberaum auf die Bühne übertragen, für mich eine große Herausforderung. Die Frage war, wo sind eingespeicherte Bewegungsmuster des Tanzes im jeweiligen Körper, welches die spezifischen Lustbewegungen der einzelnen Menschen und die verschiedenen Facetten von Tanz. Ist es ein In-sich-Hineintanzen oder ein Aus-Sich-Heraustanzen?"

Was ihr an "Glanz" besonders gefalle sei, dass es bei der "Substanz von Tanz" beginne, so Uhlich: "Ich wollte wissen, was Menschen zum Tanzen bewegt, wo der Tanz beginnt, ganz jenseits einer Tanzausbildung. Wo passiert die Tanzlust und wie drückt sie sich im Körper aus? Ich wollte herausfinden, wie der Tanz auf der Bühne sprechen kann, das Unaussprechliche im Tanz entdecken, dieses 'Warum tanze ich und spreche es nicht?'. Eine Tanzsprache jenseits des alltäglichen Codes. Was ich gefunden habe, ist ein zeitgenössisches Performance-Tanz-Stück, das auf dem alltäglichen Tanzen basiert - eine Schnittstelle zwischen Tanz im Alltag und Bühnentanz."

Eigentümlich und speziell

Konkretes Vorbild hat Doris Uhlich keines, aber: "Alles, was eigentümlich ist, wo jemand etwas sehr spezielles Eigenes erschaffen hat, das gefällt mir." Fasziniert sei sie etwa von der Tanzsprache einer Milli Bitterli oder eines Philipp Gehmacher, aber auch von den Arbeiten Pina Bauschs, "die viel in der Tanzwelt mitbestimmt hat" oder William Forsythes, "wo ich merke, er entwickelt sich immer weiter, er ruht sich nicht auf einem Label aus, das man ihm zugesprochen hat, sondern riskiert weiterhin - auch sich selbst." Die Ideen zu einem Stück hole sie sich meist aus ihrer jeweils vorangegangenen Arbeit: "Für mich gibt es derzeit die totale Konsequenz aus 'und', 'Spitze' und 'Glanz'. Obwohl die drei Stücke so verschieden sind, gibt es eine Folgekette daraus. Könnte man die drei Arbeiten einmal hintereinander an einem Abend sehen, würde man mich, glaube ich, verstehen."

"Konzepte von Leben" fällt der Künstlerin ein, wenn sie nach ihrem Performance-Stil, ihrer persönlichen "Handschrift" gefragt wird, aber: "Ich suche eigentlich noch gar nicht die 'richtige' Handschrift - ich bin froh, dass ich noch offen bin für alles. Ich lasse mich selbst noch gerne überraschen, wie ein Stück auf mich hereinrollt, wohin es sich entwickelt. Die Kunst besteht für mich darin, intuitiv zu sein und gleichzeitig zu reflektieren, wo mich die Intuition hingebracht hat und ihr wieder einen Boden zu geben. Auch, wenn es ein Konzept im Kopf und auf Papier gibt: Ich möchte erfinden." (Isabella Lechner/dieStandard.at, 30.3.2009)