Wien - Leni Riefenstahl, mit Safarimantel und Tropenhelm, kniet und robbt auf der Erde, um die besten Kameraaufnahmen einer exotischen Spezies einzufangen. Die Objekte ihrer Dokumentarbegierde weisen spezifische Merkmale auf: langes Haar, bunte Kleider, Blumenmuster. Barbara Weber, Jahrgang '75, eröffnete vergangenen Herbst ihre Intendanz am Neumarkt Theater in Zürich mit einer kuriosen Geschichtsforschung zum Thema Hippies, die am Wochenende als Gastspiel im Schauspielhaus zu sehen war. In Hair Story rattern allesamt erst lange nach '68 geborene Schauspieler wilde Assoziationsketten über den Sommer der freien Liebe herunter.
Irgendwann gehört in der Schule das Jahr 1968 wohl genauso zum Unterrichtsstoff wie heute 1848, lautet eine kluge Überlegung, die eine der zahllosen Figuren in Webers gemeinsam mit den Dramaturgen Martin Bieri und Mike Müller geschriebenem Stück anstellt. Damit steckt sie selbst schon mittendrin im Geschichtsunterricht.

1968, erfährt man, hatten Millionen junger Menschen die Nase voll. Die Zürcher Referenten lesen aus dem Brockhaus den Absatz über "Hippies, die" vor und schmiegen sich verträumt an ein zartes Pflänzchen namens Peace. Sie haben die Bühne mit allerlei einschlägigen realen und verbalen Epochenrequisiten vollgeramscht (Ausstattung: Sara Giancane): Wasserpfeifen, bunte Tücher, Regenbogen, Stars and Stripes. Da während des 100-minütigen Abends über die Konzeption von Hair als ein Musical, das aus dem antikapitalistischen Flower-Power-Zeitgeist Profit geschlagen hat, sinniert wird, darf auch der historische Soundtrack nicht fehlen.

Barbara Webers amüsante Peace-Lehrstunde offenbart dem Zuseher mehrere Tatsachen: Für halbstündige Gitarrensoli haben die Nachgeborenen kein Verständnis mehr. Das ganze Getue mit Kiffen und Sex finden wir heute ein bisschen verkrampft. Das Geschwafel deutscher Studenten über den proletarischen Klassenkampf wirkt irgendwie affig. Hair-Songs wie Aquarius sind aber Hits, die auch nach 40 Jahren noch zum beglückenden Mitschunkeln animieren.

Manche Gedankengänge wären es durchaus wert gewesen, etwas ausführlicher und strukturierter verfolgt zu werden. Das hätte die Spiellust der Bestandsaufnehmer aber womöglich gebremst. (Isabella Hager/DER STANDARD, Printausgabe, 20. 4. 2009)