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Die Stuhlberge, die den Eingang vieler Unis in Frankreich verstellten, sind großteils verschwunden - auch, weil die Prüfungszeit naht.

Foto: Reuters/Pellisier

Lille - Sesseltürme auf zusammengerückten Tischen, die einstmals als Barrikaden dienten. Nun stehen sie unbeachtet in der Aula der Universität Lille 3 im französischen Nord-Pas-de-Calais. Sie sind leichenhafte Überbleibsel der "blocage" der Fakultät.

17 Wochen blockierten Studierende und allen voran auch Professoren Universitäten in ganz Frankreich. Der gemeinsame Feind ist "La loi relative aux libertés et responsabilités des universités" (LRU). Im Grunde gleicht dieses dem österreichischen Universitätsgesetz 2002, das die Unis in die finanzielle Autonomie entließ.

An einem Montag, dem 18. Mai, strömen Massen an Studierenden in einen Hörsaal der Faculté de Lettres in Lille. Noch immer finden keine Kurse statt, aber, wie wöchentlich in Zeiten des Streiks, eine "Assemblée générale". Basisdemokratie ist das Prinzip. Jeder kann per Handzeichen Mikrofon und Podium fordern und bekommt drei Minuten Redezeit vor dem gerammelt vollen Auditorium. Nach sechs Stunden Diskussion werden 1241 der Betroffenen über die Blockierung der Uni abstimmen.

Der Lärmpegel steigt. Buh-Rufe sowie Applaus begleiten die Redner. Zwei Lager bilden sich: "bloqueurs" und "anti-blocage". Besonders heiß geht es zu, da die Prüfungswoche naht und Lille 3, wie alle bestreikten Unis, vor der Frage nach der Evaluierung des Semesters steht. Viele Studierende sorgen sich um ihr Studienjahr und ihr Diplom. Sie wollen die "déblocage" und Prüfungen Ende Juni.
Prüfungen der Ministerin

Die "bloqueurs" wiederum sind für den Boykott. "Die Examen sind unsere Waffe, um Druck zu machen", argumentiert eine Geschichtsstudentin. Immer wieder fällt der Begriff "examens de Pécresse" (franz. Wissenschaftsministerin); wer für Prüfungen sei, sei für auch die verhasste Uni-Reform.

Die Nervosität wird größer, die Atmosphäre gespannter. Ein "Comité Anti-Blocage" klebt Sticker neben das riesige Transparent des Streiks "Lille 3 en lutte" ("im Kampf"), das auf dem Podium thront. Diese werden sofort von überzeugten "bloqueurs" entfernt. Daraufhin reißen "anti-bloqueurs" das Transparent herunter. Ein Handgemenge entsteht. Danach bedrückte Stimmung: Man habe schließlich ein gemeinsames Ziel und wolle vereint vorgehen.

Viel Herzblut wird vergossen. "Jetzt Prüfungen absolvieren und nächstes Semester den Kampf wieder aufnehmen, ist, wie mit einer Fernbedienung auf Pause drücken zu wollen", sagt ein Student. "Ja zur Mobilisierung, aber nicht auf dem Rücken der schwächsten Studierenden", nämlich jene, die auf Stipendien, Sommerjobs und so auf eine baldige Notengebung angewiesen sind, sagt ein anderer.

Wahl mit Hammelsprung

Dann ist es soweit. Der "Hammelsprung" steht an: Durch Verlassen des Hörsaals durch den rechten Ausgang stimmt man für "nein", geht man durch den linken befürwortet man die "blocage". Nach der Auszählung Buh-Rufe, Applaus. 745 sind für die Aufhebung des Streiks, nur 496 wollen hartnäckig bleiben. Die "blocage" an Lille 3 ist somit Geschichte. Bald werden Prüfungen anstehen.

Nur einen Tag später, am 19. Mai, bestimmt auch die Sorbonne ihre "déblocage" und Prüfungen Ende Juni. Nur wenige Fakultäten, wie Toulouse oder Nancy, bleiben bestreikt. Letztere wurde wegen des Protests von der Administration auf unbestimmte Zeit geschlossen. Weder Studierende noch Professoren dürfen aufs Uni-Gelände. "Viele haben ein gesamtes Semester verloren", kritisiert Nina Kratz. Die Studentin ging für ein Jahr nach Nancy und will bald nach Wien zurück, doch noch immer ist unklar, ob und wie sie zu ihren Noten kommt. "Ich hatte dieses Semester nur wenige Wochen Unterricht", zweifelt sie am Sinn dieser Streitkultur. ( Julia Grillmayr aus Lille, DER STANDARD-Printausgabe, 28.5.2009)