Fisch mit Reisnudeln

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Seegurke in Papaya

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Fast zu schade zum Essen

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Nach dem gefühlten fünften, tatsächlich aber nur dem dritten Mal „Ganbei!" zeigt sich mein Gegenüber endlich zufrieden, verneigt sich kurz und sagt: "Thank you very much!" Ich verneige mich ebenfalls, murmle "You are welcome" und lobe die chinesische Freundlichkeit. Mit sofortiger Wirkung angeduselt denke ich mir außerdem, dass man sich bei uns viel zu selten dafür bedankt, wenn man gerade drei Glas Schnaps ex getrunken hat.

Kerosin mit Chloroform, 70prozentig

Gut, Maotai, der dank Mehrfachbrennung bis zu 70 Prozent haben kann, ist auch nicht irgendein Schnaps. Schmecken tut der Weizen- und Hirseschnaps nämlich wie Kerosin (meinte angeblich Henry Kissinger) gemischt mit Chloroform (meine ich). "Ganbei" wiederum ist das wichtigste Wort, das ich auf meiner ersten Reise mitten ins Reich der Mitte lernen werde. Es bedeutet so viel wie "ganz austrinken" bzw. auf Pubertätsösterreichisch „ex oder Arschloch". Ganbei und Maotai werden die beiden ständigen Begleiter auf dieser Bankett-Tournee durch China sein.

Genauer gesagt führte die Spur des Speisens quer durch Henan. Das ist eine chinesische Provinz südlich von Peking, doppelt so groß wie Österreich, nur halt mit knapp 100 Millionen Einwohnern. Henan gilt außerdem als die kulturelle Wiege Chinas: Die chinesische Schrift wurde dort ebenso erfunden wie der Zen-Buddhismus oder Shaolin Kung Fu. Konfuzius lebte in der Gegend und auch Laotse. Das I Ging stammt auch aus der Gegend.

Wasserbankett in 24 Gängen

Und dann gibt es auch noch ein paar kulinarische Erfindungen wie zum Beispiel das Wasserbankett. Das wird insbesondere im Millionenstädtchen Luoyang gerne serviert, dem internationalen Zentrum der Pfingstrosenzucht. Das Wasserbankett besteht aus insgesamt 24 Gängen (für die 24 Jahre, in denen Luoyang Reichshauptstadt war) und heißt aus mehreren Gründen so: Erstens werden die Speisen in einem kontinuierlichem Fluss der Reihe nach auf dem sich drehenden runden Tisch serviert. Dann wird fast alles wird mit Wasserdampf zubereitet. Oder als Suppe. Und außerdem ist fast immer ein Karpfen (vorzugsweise in Soyasauce) mit dabei.

Abgesehen vom runden Drehtisch, der buchstäblich unfassbaren Speisenmenge (ein Buch über die Region hat übrigens den trefflichen Ratschlag, sich dafür am besten acht Freunde einzuladen und nicht alles selbst zu essen) ist der als Ganzer servierte Fisch ein weiteres typisches Kennzeichen der Küche Chinas: Während bei uns der ursprüngliche Tierkörper durchs Filetieren und andere Techniken möglichst unsichtbar gemacht wird, erinnert man sich in China gerne daran, was das war, was man gerade isst.

Hühnersalat mit Kopf und Bein

So werden auch beim Hühnersalat, für den das etwas weiter nördlich gelegene Millionenstädtchen Anyang berühmt ist, die Teile des Tiers so am Servierteller arrangiert, dass der Vogel sichtbar wird: die Flügelstücke an der Seite, die Beine hinten – und vorne oben auf der gut erkenntliche Hühnerkopf. Mariniert ist der elegant arrangierte Haufen von Hühnerstückchen sehr sparsam, und schmecken tut er wirklich vorzüglich.

Es heißt ja, dass man in China alles isst, was vier Beine hat (außer Tisch und Sessel), was fliegt (außer Flugzeuge) und schwimmt (außer U-Boote). Das kann ich nicht bestätigen, aber auch nicht völlig ausschließen. Denn nicht immer ist bei den zumindest mittäglichen und abendlichen Einladungsbanketten (einmal ging es mit rund 30 für unsere Gaumen eher wenig frühstücksartigen Speisen schon in der Früh los) mit Bürgermeistern und anderen Offiziellen klar, was da auf den Drehtisch kommt.

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Die grob zerkleinerten Frösche zum Beispiel, die sich in einem großen Topf mit Chilisauce befanden, hätten womöglich auch fischiges Huhn sein können. Immerhin: Von Hunden und ähnlichem Getier war jedenfalls nie die Rede. Was auch wieder nichts heißt, weil das mit der Verständigung ist ein echtes Problem ist. Dass das mit viel Paprika pikant marinierte Fleisch vom Esel stammte, erfuhren wir immerhin hinterher. Beim Schweinsfuß hingegen war gleich prima vista zu erkennen, um was es sich handelte. Das Ding sieht freilich so echt aus, dass man erst wieder zögert.

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Da in China die Gastfreundschaft sehr groß geschrieben wird, kommt die offizielle Journalistendelegation in den Genuss des – zumindest für Chinesen aus Henan – Feinsten, Besten und Teuersten. Das Problem für unsereins ist, dass die Höhe des Preises der Speisen sehr stark mit dem korreliert, was wir als, nunja, eher ungewöhnlich empfinden. Und so gab es nicht nur wegen der angebotenen Speisenfülle und des Maotai („Ganbei!") immer wieder ordentlich zu schlucken.

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Zum Beispiel an den frittierten Skorpionen auf Reisberg. Die wohl eher jungen Exemplare sind nicht viel größer als Heuschrecken und sehen ziemlich lebendig aus. Gut für das Knie, sagt unser Delegationsleiter am Tisch. Ja dann: nichts wie runter damit. Die Tiere stellen sich im Wesentlichen als etwas fischig, luftig und knusprig heraus. Gegessen werden sie natürlich im Ganzen. Und nach dem dritten Skorpion (begleitet von Maotai, Ganbei!) fragt man sich glatt, ob das nicht auch als Fernsehsnack taugen könnte.

Gummige Gurke aus dem Meer

An Ungewöhnlichem aus dem Meer komme ich in den zweifelhaften Genuss mehrerer Seegurken, für Chinesen mit das Teuerste und Gesündeste, was die Küche zu bieten hat. Ich sage dazu eindeutig: Naja. Erstens ist die gummiartige Konsistenz des Dings in Hundstrümmerlgröße gewöhnungsbedürftig. Und dass sie in einer Art Bratensauce serviert wird, macht die Sache auch nicht viel besser, vermutlich aber auch nicht schlechter. Dass man das Ganze in einer halben ausgehöhlten Papaya anrichtet, ist zumindest sehr schön anzusehen.

Ähnlich eigenartig war die Art, Abalone zu kredenzen, also das Ding, das man auch als Seeohr oder Seeschnecke kennt und eben keine Muschel ist, obwohl es auf den ersten Blick so aussieht. Vom Meer war da nicht mehr allzu viel zu schmecken Die ostasiatische Spezialität kam nämlich, doppelt gekocht, in einer mehr als intensiven Ochsenschwanzsuppe.

Haimagen & heißes Cola

Eine andere Besonderheit aus dem Meer wurde bei einem andere Bankett im Millionenstädtchen Kaifeng gereicht: Haifischmagen. Bei dem Abendessen fehlte ich freilich, weil ich mir den meinigen kurzfristig – wohl mit bakterienversuchtem Wasser – gründlich verdorben hatte.

Was mich zum Praxistipp bringt. Auf strenge Anordnung unseres chinesischen Reiseleiters kam ich in den Genuss eines besonderen Heilgetränks, das zwar nicht der ganz traditionellen chinesischen Medizin entspricht, das ich hier dennoch empfehlen kann: heißes Cola, das mit einer gehörigen Portion Ingwer und vermutlich etwas Kardamom versetzt ist.

Das half nicht nur mir akut, sondern auch der ganzen Gruppe zur Vorbeugung. Die musste das Getränk dann nämlich auch regelmäßig bei den Banketten quasi als Aperitif zu sich nehmen. Das Erstaunliche: auch notorische Anhänger eines kalten deutschen Pils konnten sich mit dem Heiß-Cola, das gesund macht und hält, durchaus anfreunden.

Im Notfall geht natürlich immer auch noch ein Glas Maotai zwischendurch, was freilich mit einem Problem verbunden ist. Der nicht ganz teure Maotai evoziert nämlich heftiges Aufstoßen, auch noch Stunden danach. Und jedes luftige Echo aus dem Magen schmeckt und durftet dann genauso wie Maotai, also wie eine Mischung aus Kerosin und Chloroform. Ich wette, die Rülpser sind leicht entzündlich und können zu schweren Explosionen führen.

Erstaunlich wenig Rülpser

Apropos Rülpser. Von denen war bei den Gastgebern erstaunlich wenig zu hören. Allerdings: direkt neben einem Suppe oder ein ganzes Spiegelei schlürfenden Chinesen zu sitzen, stellt akustisch schon eine gewisse Herausforderung dar. Aber auch da hilft „Ganbei!", an dem man bei offiziellen Essen ohnehin nicht herumkommt.

Es gehört nämlich für die Gastgeber zu den guten Sitten, zumindest einmal den Tisch zu umkreisen und mit allen Gästen anzustoßen. Wer es in der chinesischen Politik also zu etwas bringen will, braucht also entsprechende Trinkfestigkeit. Je weiter nach oben, desto höhere Alkohol-Verträglichkeit, klärt uns ein Insider auf.

Taschentuch? Schickt sich nicht

Umgekehrt gibt es natürlich auch einiges, was der Chinese an uns extrem grauslich findet. Sich bei Tisch in ein Taschentuch zu schnäuzen und das noch dazu wieder einzustecken ist so ziemlich der schlimmste Fauxpas, den man überhaupt begehen kann. Im Reich der Mitte zieht man den Schleim lieber auf und spuckt ihn aus – selbstverständlich nicht bei Tisch.

Was allerdings vor gewissen Nasenproblemen nicht schützt. Erst kürzlich wurde einem 73-jährigen Chinesen, der wohl auch immer nur aufgezogen hat, vom Arzt – und das ist jetzt nicht erfunden – ein zehn Zentimeter langer Blutegel aus der Nase gezogen, der sich dort ungestört breit gemacht hatte. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Mehr Reiseeindrücke aus Henan demnächst in der Rubrik "Reise".