Der Papst sorgt mit seiner Sozialenzyklika "Caritas in veritate" ("Die Liebe in der Wahrheit") gerade für gehöriges Aufsehen. Leider wurde sie nicht richtig gelesen. Die Kritik an dem Papier, es sei etwas unkonkret, ist nämlich nach einem zweiten Blick darauf überhaupt nicht nachzuvollziehen.

Mit der Forderung nach Schaffung einer "echten politischen Weltautorität" wünscht sich Benedikt XVI. beispielsweise, dass sich der Vatikan gegen die unechten unpolitischen Weltautoritäten stärker in den Vordergrund rückt. Mit der kürzlich erfolgten Heimholung Michael Jacksons wurde bereits ein großer Schritt in diese Richtung gemacht.

Aus den weiteren gefinkelten Ausführungen Benedikts lesen Beobachter dann spielend ganz eindeutige Aufträge an den neuen Finanzchef des Kirchenstaats, Ettore Gotti Tedeschi, heraus. Eine Weltautorität müsse sich nämlich "dem Recht unterordnen", ist in der Schrift des Papstes zu lesen - für viele ein völlig zweifelsfreies Bekenntnis, dass die Bilanzen des Vatikan und seiner Finanzbeteiligungen künftig nicht nur von Atheisten, sondern auch von orthodoxen Buchhaltern gelesen werden können. Aus Pietätsgründen war ihnen dies bisher nicht möglich, fließt doch ein kleiner Teil jener Gelder, die die Vatikan-Bank IOR verwaltet, angeblich in höchst unsaubere Finanzgeschäfte. (Ein weiterer Teil soll Kennern zufolge auch schon mal ganz sauber an die Mafia gegangen sein.)

Weiters soll sich die Weltautorität in spe "auf konsequente Weise an die Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität halten", was klarerweise nur heißen kann, dass die Messebesucher ihren Obolus statt in den Klingelbeutel gleich direkt auf das Western-Union-Konto der Diözese Mogadischu transferieren sollen. Der Satz, dass die Weltautorität "auf die Verwirklichung des Gemeinwohls hingeordnet sein" müsse, bedeutet weiters praktisch das sofortige Aus für alle Wertpapier-Spekulationen des Kirchenstaats. Auch die gewünschte "Verwirklichung einer echten ganzheitlichen menschlichen Entwicklung, die sich von den Werten der Liebe in der Wahrheit inspirieren lässt", ist ein unmissverständlicher Befehl, den Hinterbliebenen der Inquisitions-Geschädigten Restitutionszahlungen zukommen zu lassen. Vatikan-Intimi sollen sogar imstande sein, den korrekten Betrag herauslesen.

"Manchmal sind es große transnationale Unternehmen oder auch lokale Produktionsgruppen, welche die Menschenrechte der Arbeiter nicht respektieren", stößt Benedikt unerschrocken in ein weiteres Wespennest. Die wenigen, aber umso gewichtigeren Worte werden zu Beginn der Herbstlohnrunde noch gehörig nachhallen. Arbeitgebervertreter sollen bereits besorgt in Rom intervenieren; immer mehr schließen den Wunsch nach Rücknahme dieses explosiven Satzes in ihr Abendgebet ein.

"Ohne Wahrheit gleitet die Liebe in Sentimentalität ab. Sie wird ein leeres Gehäuse, das man nach Belieben füllen kann", heißt es in der Enzyklika weiter. Um die Liebe also nicht weiter abgleiten zu lassen, erwarten Vatikanologen einen weiteren entwaffnenden Schritt des Papstes. Seine nächste Enzyklika mit dem Arbeitstitel "De facto pecunia non olet" ("Geld stinkt wirklich nicht") dürfte somit wieder ein grandioser Verkaufs-Erfolg werden. (Martin Putschögl, derStandard.at, 8.7.2009)