"Zigaretten, Whisky und wilde, wilde Frauen - und viel Sinn für Humor." So lautete das Rezept des Briten Henry Allingham, um 113 Jahre und 42 Tage alt und damit ältester Mann der Welt zu werden. Am vergangenen Wochenende musste er diesen Titel allerdings an einen Jüngeren abgeben.

Ob Allingham die oben zitierte Reihenfolge immer genau eingehalten hat, wissen wir nicht. Aber mit Sicherheit hätte sich der alte Brite scheckig gelacht, hätte er noch vernehmen können, wie sich sein Nachfolger auf diesem Posten, der US-Amerikaner Walter Breuning, fit hält: "Aktiv bleiben in Körper und Seele, nicht zu viel essen und gut zu den Menschen sein." Breuning wird auch bald 113, erfreut sich bester Gesundheit, wohnt in einem Altersheim in Montana und trägt dort jeden Tag Anzug und Krawatte spazieren.

Nicht nur auf den ersten Blick prallen hier zwei Welten aufeinander. Die Thronfolge Breunings stellt schier die Antithese zu Allinghams Rezept dar. Es ist deshalb sicherlich nicht zu weit hergeholt, im Kleinen darin die personifizierte Gegensätzlichkeit zwischen zwei Systemen zu erblicken, die in den letzten Jahrzehnten eine größere Rolle spielten.

Fraglos war das eine, nämlich der Kapitalismus - nennen wir ihn Allingham -, Zeit seines Lebens ein Windhund. Mit Alkohol und Zigaretten hat er sich einen Ruf als Draufgänger erworben, der ihm in weiterer Folge nicht nur im Umgang mit dem anderen Geschlecht als durchaus nützlich erschien. Nichts konnte ihn in seinem Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, erschüttern. Rückblickend auf sein Wirken mag er aber - Humor hin oder her - dennoch, aus Altersstarrsinn oder aus purer Eloquenz, das eine oder andere, darunter möglicherweise seine Attraktivität, etwas geschönt dargestellt haben.

Der Sozialismus wiederum, nennen wir ihn Breuning, war eigentlich immer ganz anders. Er hat nicht zu viel gegessen, weil er als Eisenbahner nicht so viel verdient hat, und blieb somit körperlich aktiv. Wenn er den Allinghams dieser Erde mit viel Neid, aber noch mehr Stolz kopfschüttelnd zusah, wie sie das Geld für ihr wildes Leben beim Fenster hinaus warfen, hielt er sich seelisch fit, indem er den Menschen Mut machte, dass alles schon recht bald viel besser werden würde. Er hat also ganz ohne jeden Zweifel viel Gutes getan; ganz bestimmt hat er die Menschen aber auch das eine oder andere Mal belogen.

Jetzt sind Allingham und Breuning, beide in der letzten Phase der "Great Depression" geboren, mitten in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise am Ende ihrer Tage angelangt. Der Kapitalismus ist als mausetot zu betrachten, und der Sozialismus riecht auch schon ein bisschen streng, hat aber immerhin seit einem Jahr ein Hörgerät. Wünschen wir ihm noch ein paar glückliche Tage. (Martin Putschögl, derStandard.at, 22.7.2009)