Graz - Eine - zweifelsfrei schöne - Frau reitet stehend auf einem Pferd über die verlassenen Brauereigründe von Graz-Reininghaus. Sie reitet vorbei an stillgelegter Industriearchitektur, verfolgt von einer im Dunkeln umhertappenden Menge hunderter Menschen mit Kopfhörern. Aus diesen tönt: ein elektronischer Soundteppich aus mehrsprachigen Sätzen, ein paar Fetzen Klaus Nomi, Geräuschkulissen aus den Straßen von Berlin oder dem Hafen von Marseille. Auf den desolaten Mauern, die man passiert, flackern Filme auf, oder es werden Textbotschaften projiziert, die man liest und gleich wieder vergisst.

Ein Reisetagebuch sollte die Eröffnungsproduktion von La Strada, Flux 47°/15° des Théâtre du Centaure aus Frankreich sein. Doch sie wurde am Freitag nur zum ungewöhnlich matten Startschuss für das ansonsten wieder mit feinen Gruppen vollgepackte Festival für Figuren- und Straßentheater. Denn wo die Reise hingeht, weiß am Ende niemand. Natürlich: Der Weg ist das Ziel. Und auf diesem Weg taucht auch noch ein schöner Mann auf einem weiteren schönen Pferd auf. Auch er reitet ausgezeichnet und macht immer wieder Halt vor Mauerwerk, wo bedeutungsschwangere, aber bald langweilige Filme von der Frau, dem Mann und ihren Pferden gezeigt werden, wie sie als Zentauren durch halb Europa reiten, sich lieben oder einfach nichts machen. Dazwischen hat ein echter Güterzug seinen Auftritt vor dem Publikum. Das ist viel technischer Aufwand mit zu wenig Inhalt für zwei Stunden, die beweisen: Auch Langeweile kann ästhetisch sein.

Schon der zweite Abend des Festivals, das bis 8. August nicht weniger als 189 internationale Produktionen zeigt, ließ jede Fadesse vergessen. Die drei Artisten vom französischen Alternativzirkus Baro D'Evel füllten mit ihrem Abend Le sort du dedans ein intimes Zirkuszelt im Grazer Augarten mit den großen Geschichten zwischenmenschlicher Beziehungen.

Auch hier spielt ein Pferd mit - aber es darf witzig sein. Und es darf gestaunt werden über die kleinen Gesten und die große Körperbeherrschung der beiden Männer und der Frau, die auch noch großartig singen kann. Sie lassen alles ganz nebensächlich und leicht aussehen und führen doch präzise und mit wenigen Mitteln in eine einzige schöne Geschichte. Ein Hochrad, ein Kontrabass oder die Instrumentenhülle, die zum Reptil wird - alles erzählt mit. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe 3.8.2009)