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Am 8. August 2008 wurde Werner Faymann in Zeiten der sozialdemokratischen Not zum SPÖ-Chef gewählt.

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Wien - Am 8. August des Vorjahres wurde Werner Faymann in Zeiten der sozialdemokratischen Not zum SPÖ-Chef gewählt. Nun, ein Jahr später, kommenden Samstag sitzt er mit Familie urlaubend in der Provence und kann von dort aus in Ruhe überlegen, wie es während der letzten 365 Tage gelaufen ist. Auf der Habenseite kann Faymann die Kanzlerschaft verbuchen, auf der Verlustseite finden sich teils heftige Einbußen bei sämtlichen Urnengängen, die von der Sozialdemokratie unter seinem Vorsitz zu bestreiten waren.

Als Faymann die Partei übernahm, lag die am Boden. In Umfragen gerade noch über 20 Prozent, weit von der ÖVP abgehängt und von ihr in Neuwahlen getrieben, mussten sich die Sozialdemokraten neu aufstellen. Alfred Gusenbauer hatte zu weichen, die Hoffnungen ruhten auf dem damaligen Infrastrukturminister Faymann, dem man in der Partei als einzigem die Wende wenigstens einigermaßen zutraute.

Nach den für die SPÖ ungewohnt öffentlichen Streitereien rund um die Demontage Gusenbauers als Parteichef und Kanzler riss man sich wieder zusammen. Faymann wurde in Linz mit dem beachtlichen Resultat von 98,36 Prozent zum Vorsitzenden gewählt und ging entsprechend gestärkt in die Wahlauseinandersetzung, die er dann auch trotz schwerer Verluste mit 29,3 Prozent auf Platz eins abschloss.

Faymann als österreichischer Obama

Die Partei war letztlich trotz des Minus von sechs Prozentpunkten zufrieden, denn immerhin lag man in den Umfragen in den Wochen davor noch schlechter, und die ÖVP wurde erneut auf Rang zwei verwiesen. Schließlich gelang es Faymann auch noch, die Volkspartei in den Regierungsverhandlungen behutsam wieder in eine Große Koalition zu lotsen und damit die rote Kanzlerschaft zu perpetuieren. Die Wechsel im eigenen Regierungsteam verliefen unblutig, der Boulevard bejubelte Faymann als österreichischen Obama, die rote Welt schien in Ordnung.

Faymann blieb auch als Regierungschef jenem Kurs treu, den er bereits in der Wahlkampagne gefahren hatte, "genug gestritten". Was mit der ÖVP nicht umsetzbar war, wurde auch nicht gefordert. Erstmals wirklich auf den Kopf fiel ihm das, als der steirische Landeshauptmann Franz Voves massiv ein Konzept bewarb, das höhere Vermögenssteuern vorsah. Faymann sagte mehr oder weniger Nein, zauderte und schob die Angelegenheit in eine Arbeitsgruppe ab.

Der Streit mit Voves eskalierte. "Solche, die sich anbiedern - das ist das Traurigste überhaupt", richtete der Landeshauptmann dem Kanzler via "Presse" zwei Tage vor der EU-Wahl aus und meinte damit Faymanns enges Verhältnis zur "Kronen Zeitung". Die Wahl ging verloren und letztlich musste Voves parteiintern als eine Art Watschenmann dienen. Zumindest die Gewerkschaft steht aber sehr wohl hinter dem steirischen Steuer-Vorstoß, weshalb sich Faymann bei der roten Fraktionstagung im Vorfeld des ÖGB-Bundeskongresses Anfang Juli von den Delegierten eine ungewohnt scharfe rhetorische Abreibung abholte.

Dass mancher Funktionär sich auch öffentlich durchaus traut, dem Kanzler die Leviten zu lesen, hängt wohl auch damit zusammen, dass sich Faymann angesichts teils katastrophaler sozialdemokratischer Wahlergebnisse keinen wirklichen Nimbus aufbauen konnte. Konnte man in Salzburg trotz starker Verluste wenigstens befriedigt zur Kenntnis nehmen, dass in dem tiefschwarzen Bundesland weiter eine rote Landeshauptfrau regiert, wurde der 1. März in Kärnten zum Desaster. Trotz großer Präsenz Faymanns in der Kampagne rutschte die SPÖ beim ersten Urnengang in der Ära nach dem freiheitlichen Übervater Jörg Haider auf 28,7 Prozent ab und bliebt somit über 16 Punkte hinter dem BZÖ.

"Kronen-Kanzler"

Damit war der Tiefpunkt freilich noch nicht erreicht. Waren die Verluste bei der Hochschülerschafts- und der AK-Wahl für die Partei wohl noch einigermaßen zu verkraften, waren doch nur Vorfeldorganisationen betroffen, wurde die EU-Wahl zum historischen Debakel: 23,7 Prozent waren das schlechteste Ergebnis, das die SPÖ jemals bei einer Bundeswahl eingefahren hat. Schlechtpunkt für Faymann in der Partei: Er blieb am Wahlabend der Parteizentrale fern, letztmals bei einem bundesweiten Urnengang, wie er hernach versicherte.

Ein echter Kurswechsel hat seither freilich auch nicht stattgefunden. Die Bundesgeschäftsführung blieb im Amt, obwohl sich Laura Rudas und Günther Kräuter nicht unbedingt nahestehen und die Löwel-Straße für viele mittlerweile auch die zentrale Schwachstelle der Partei ist. Inhaltlich rang sich Faymann dazu durch, die ÖVP wegen der Spekulationsverluste ein wenig zu kritisieren und die Abschaffung der ÖIAG zu fordern. Sollten die Prognosen stimmen und die SPÖ im September auch die Urnengänge in Vorarlberg und Oberösterreich verlieren, wird sich der Kanzler wohl mehr einfallen lassen müssen.

Einen Weggefährten hat Werner Faymann nämlich mittlerweile verloren. Gerade er, der angesichts seines EU-Schwenks via Leserbrief schon "Kronen-Kanzler" getauft worden war, ist mittlerweile nicht mehr der Liebling der größten österreichischen Tageszeitung. Vielmehr philosophiert Herausgeber Hans Dichand darüber, wie schön es wohl wäre, wenn die beiden Prölls an der Spitze des Landes stünden.

Nicht wenige in der Partei murmeln kaum verhohlen, dass das Faymann angesichts seiner Anbiederungen an den Boulevard schon recht geschehe. Echte Gefahr droht dem Chef trotzdem nicht, fehlt es doch an Alternativen und will man sich nicht als Königsmörder-Partei etablieren. Was noch dazu kommt - wirklich unbeliebt ist Faymann trotz Wahlniederlagen nicht, seine praktisch wöchentlich durchgeführten Länder-Reisen zur Basis zahlen sich zumindest parteiintern fürs Erste aus. (APA)