Wiens Bürgermeister Michael Häupl versah seine Inserate für den Gratiskindergarten vorsichtshalber mit Fußnoten. Im Gemeindekindergarten ist die Betreuung ab 1. September gratis, bezahlt werden muss nur das Essen. Aber von den privaten Anbietern schaffen längst nicht alle die Beitragsfreiheit.

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Viele Eltern in der Bundeshauptstadt sehnen wohl schon seit Monaten den 1. September herbei: Ab kommender Woche wird in Wien ein bildungspolitisches Megaprojekt, der Gratiskindergarten, in die Tat umgesetzt. Bei der SP-Klausur in Rust im Februar von Bürgermeister Michael Häupl als rotes Prestigeprojekt angekündigt, erwies sich die Umsetzung seither als administrativer Kraftakt. Noch dazu tauschte Häupl unmittelbar nach der Ankündigung die damals zuständige Stadträtin aus, auf Grete Laska folgte Christian Oxonitsch.

Innerhalb weniger Monate mussten die Beamten der Stadt die Rahmenbedingungen festlegen und mit dutzenden Trägern verhandeln. An seine Grenzen stieß Wien aber vor allem finanziell: 100 Millionen Euro kostet der Gratiskindergarten, das sind 25 Millionen mehr als noch vor einigen Monaten angekündigt. Stadtrat Oxonitsch nennt nun im Standard-Interview (siehe Seite 3) eine konkrete Zahl: 45.000 von insgesamt 58.000 Kindergartenplätzen werden ab dem 1. September kostenfrei sein. Voraussetzung ist, dass mindestens ein Elternteil seinen Hauptwohnsitz in Wien hat.

Mehr als 50 Prozent privat

Das bedeutet, dass für fast jeden vierten Kindergartenplatz weiterhin bezahlt werden muss. Ohne private Einrichtungen könnte die Stadt freilich die Versorgung nicht aufrechterhalten. 47 Prozent der Plätze werden von Gemeindekindergärten angeboten, für die fällt ab 1. September nur noch das Essensgeld an. Die großen gemeinnützigen Träger wie die Kinderfreunde, Kinder in Wien oder die Erzdiözese schaffen die kostenlose Betreuung ebenfalls. Knapp wird es allerdings für kleinere Vereine.

Denn das Fördersystem wird mit September komplett umgestellt: Statt wie bisher pro Gruppe wird in Zukunft pro Kind subventioniert. 334 Euro gibt es für über Dreijährige, 471,50 Euro für jüngere Kinder. Zusätzlich erhalten private Träger eine Verwaltungspauschale, die wiederum nach der Anzahl der Gruppen gestaffelt ist und zwischen 500 und 1500 Euro liegt. Also bemühten sich kleinere Kindergartenanbieter in letzter Zeit, sich zu Trägervereinen zusammenzuschließen, um ebenfalls in den Genuss der höchsten Förderstufe zu kommen. Eine "Notwehrgemeinschaft" nennt etwa der Dachverband der Privatkindergärten seinen eigenen Zusammenschluss.

Fieberhaft wurde in den vergangenen Wochen noch darüber verhandelt - einige private Kindergartenanbieter können den Eltern daher noch immer nicht sagen, wie viel sie ab kommender Woche zahlen sollen. Für manche könnte gar eine unliebsame Überraschung drohen: Da für Eltern die individuelle Förderung wegfällt, kann es in Einzelfällen dazu kommen, dass der Kindergartenplatz gar teurer wird statt billiger.

Andere Anbieter erhöhen die Preise, etwa die Kindercompany, wo sich für Essen oder Zusatzangebote wie bilingualen Unterricht die Kosten nahezu verdoppeln. "Und ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, was jetzt überhaupt für die Betreuung ausgegeben wird" , sagte ein verärgerter Vater am Freitag zum Standard.

Angst um Qualität

Kindergartenpädagoginnen wiederum befürchten, dass mit dem Gratiskindergarten die Qualitätsdebatte endgültig unter den Tisch fällt. Denn nicht zuletzt hat Wien ein Personalproblem in den Kindergärten. "Das wird sich noch verschärfen" , sagt Barbara Tinhofer von der Plattform "Kindergartenaufstand" im Gespräch mit dem Standard.

Die beitragsfreien Privatkindergärten hätten bei den Anmeldungen bereits einen Anstieg von 20 Prozent verzeichnet. Ob es bei den Gemeindekindergärten einen ähnlichen Ansturm geben wird, wird sich erst im kommenden Jahr zeigen, heuer war die Anmeldefrist gerade vorbei, als Häupl den Gratiskindergarten verkündete.

Noch dazu werbe Niederösterreich massiv Kindergartenpädagoginnen aus Wien ab, schildert Tinhofer. "Das Gehalt ist um 200 Euro höher, und der Urlaubsanspruch ist mit zehn Wochen doppelt so hoch wie in Wien." Dabei liegt Wien im Vergleich bei der Bezahlung der Kindergartenpädagoginnen mit 1751 Euro brutto für Berufseinsteigerinnen noch nicht einmal schlecht. In Vorarlberg verdienen Anfängerinnen 1470 Euro brutto, in Salzburg 1720 Euro, in Kärnten 2086 Euro, mit 2126 Euro zahlt Niederösterreich am besten.

Tinhofer fordert neben besserer Bezahlung auch mehr Zeit für Teamgespräche und Vorbereitung. "Es ist nicht einzusehen, dass wir einerseits zwar vertraglich zur Fortbildung verpflichtet sind, diese aber in unserer Freizeit absolvieren und selbst bezahlen müssen."

Um Kinder wirklich gut betreuen zu können, müsste in Wien die Gruppenhöchstzahl von derzeit 25 auf 15 gesenkt werden, sagt Tinhofer, die selbst als Kindergartenpädagogin arbeitet. "Für ganz wichtige Alltagsdinge, wie den Kindern beizubringen, sich beim Essen nur so viel zu nehmen, wie man auch wirklich essen möchte, und auf seinen eigenen Körper zu hören, ist bei derart großen Gruppen keine Zeit."

Diese schwierigen Rahmenbedingungen seien nicht zuletzt ein gewichtiger Grund, warum immer weniger ausgebildete Kindergartenpädagoginnen tatsächlich in den Beruf gehen, sagt Tinhofer. In Wien wird derzeit jede Absolventin einer "Bakip" von fünf Kindergartenbetreibern umworben. (Bettina Fernsebner-Kokert; Andrea Heigl/DER STANDARD-Printausgabe 29./30. August 2009)