
Bei gleichen Startvoraussetzungen geht die Einkommensschere von Jahr zu Jahr weiter auf. Karenzzeiten spielen dabei keine Rolle, sagt Karrierenforscher Guido Strunk.
STANDARD: Sie titeln die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen zu Karriereverläufen mit "Eine Frau muss ein Mann sein, um Karriere zu machen". Was steht denn dahinter?
Strunk: Es hat sich klar gezeigt, dass es nicht reicht, wenn eine Frau so gut ist wie ein Mann. Wir haben 50 Frauen und Männer mit 30 identischen Variablen untersucht - von Studienerfolg über soziale Herkunft und Netzwerk bis zu Motivation. Sie bringen Gleiches für die Karriere mit, müssten also vergleichbar erfolgreich sein.
STANDARD: Offenbar nicht ...
Strunk: Kurz gesagt: Die Männer verdienen innerhalb von zehn Jahren in Summe 70.000 Euro mehr als die Frauen.
STANDARD: Karenzzeiten, Versorgungspflichten - was ist die Ursache?
Strunk: Das haben wir untersucht, und es zeigt sich: Elternkarenz hat im Verlauf keinerlei Einfluss auf die Einkommensunterschiede.
STANDARD: Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit auch nicht?
Strunk: Es gibt ja diesen Mythos "Männerjob", also 40 Stunden auf dem Papier, aber tatsächlich gearbeitete 60 Stunden pro Woche. Das haben wir uns auch angeschaut, und das Ergebnis ist: Von Überstunden und Mehrarbeit profitieren nur Männer. Frauen nicht.
STANDARD: Vielleicht sind Männer in der Angabe ihrer tatsächlichen Arbeitszeit großzügiger?
Strunk: Das wissen wir nicht genau, kann sein. Wir können nur zeigen, dass Mehrarbeit statistisch für Frauen keine positiven Auswirkungen auf das Einkommen hat.
STANDARD: Verlangen Frauen zu wenig Geld?
Strunk: Kann sein. Vielleicht vermeiden sie den Kampf um jeden Cent. Dazu gibt es Studien - ich bin mir aber nicht sicher, ob das stimmt.
STANDARD: Wählen Frauen zu "kleine" Positionen beim Einstieg?
Strunk: Ja, sie geben sich schneller zufrieden, aber: Auch wenn Frauen in großen Unternehmen besser einsteigen, hilft es ihnen nichts. Die Einkommensschere geht Jahr für Jahr weiter auf. Im Zeitverlauf verdienen Männer 1,5-mal mehr als Frauen.
STANDARD: Haben Sie auch Ermutigenderes?
Strunk: Etwas Interessantes kann ich anbieten: Es hat sich gezeigt, dass, wenn man eine Frauenquote einführt, viel mehr Frauen den Versuch wagen, in Konkurrenz zu treten. Es reicht zu sagen: Ihr habt dieselbe Chance. (DER STANDARD, Print, 26./27.9.2009)