Wien - Gleich vorweg: Es gibt kein (Schul-)Rezept für den Nobelpreis. Nicht aus jedem Schulversager wird ein Genie, wie Albert Einsteins oft zitierte schlechte Schulleistungen vielleicht glauben lassen. Und auch ein Vorzug deutet nicht auf potenzielle berufliche Misserfolge hin. Auch die schulischen Leistungen österreichischer Nobelpreisträger weisen ein breites Spektrum auf. Es gab die "Klasse der Genies" ebenso wie den "Nachhilfeunterricht von der ersten bis zur letzten Klasse" - "Begeisterung und Engagement für die Arbeit in der Schule sind ebenso zu finden wie Gleichgültigkeit und Ablehnung", heißt es in dem neuen Buch "Von der Schule zum Nobelpreis - Bildungswege österreichischer Nobelpreisträgerinnen" (Leykam).

Der langjährige frühere Sektionschef im Unterrichtsministerium, Leo Leitner, macht gleich am Beginn klar, dass die Zuordnung als "österreichischer" Nobelpreisträger nicht ohne Einschränkung getroffen werden kann. Für seine Untersuchung hat er die Schullaufbahn von 26 Laureaten untersucht, 13 davon "österreichisch durch Familie und Schule", einige "Altösterreicher", aber auch zwei aus Galizien stammende sowie zwei aus Österreich vertriebene Preisträger. In Archiven, Schulchroniken und Lebenserinnerungen hat der Autor nicht nur ihre Erfahrungen mit Schule und Lehrern, ihre Stärken und Schwächen, Noten und Reifeprüfungszeugnisse recherchiert. Er stellt auch das für eine ausgezeichnete wissenschaftliche Karriere wesentliche familiäre Umfeld und den weiteren Weg der Ausgezeichneten bis zum Nobelpreis vor.

Canetti "mit leichtem Zug zum Strebertum"

Dass dieser Weg nicht bei allen schon in der Schule vorgezeichnet war, zeigen die Erinnerungen der Laureaten: "Karl von Frisch (Medizin-Nobelpreis 1973, Anm.) nannte sich einen 'schlechten Schüler', als 'schwacher Schüler' sah sich Max Perutz (Chemie, 1962), Karl Landsteiner (Medizin, 1930) kämpfte mit Latein und Griechisch, Konrad Lorenz (Medizin, 1973) mit der Mathematik, Friedrich August von Hayek (Wirtschaft, 1974) ärgerte die Lehrer durch Desinteresse", schreibt Leitner. Karl von Frisch etwa hatte Probleme in Latein, Griechisch und Mathematik, "um in diesen Gegenständen wenigstens die Note 'Genügend' abzusichern, benötigte er von der ersten bis zur letzten Klasse Nachhilfeunterricht".

Ganz im Gegensatz dazu war "Erwin Schrödinger (Physik, 1933) in allen Fächern hervorragend, Elias Canetti (Literatur, 1981) begeisterungsfähig und lernsüchtig, mit leichtem Zug zum Strebertum, Victor Franz Hess (Physik, 1936) und Richard Kuhn (Chemie, 1938) brillant in ihren Leistungen, Elfriede Jelinek (Literatur, 2004) jeweils die Beste in ihrer Klasse." Eine "Klasse der Genies" gab es am Döblinger Gymnasium in Wien, wo mit Richard Kuhn und Wolfgang Pauli (Physik, 1945) gleich zwei Schüler eines Maturajahrgangs (1917/18), die noch dazu Banknachbarn waren und ihre Reifeprüfung mit "Auszeichnung" absolvierten, den Nobelpreis erhielten. Von den 13 Laureaten, die in Wien die Reifeprüfung ablegten, erhielten acht das Prädikat "Auszeichnung".

Familäres Umfeld für Entfaltung maßgeblich

Leitner zieht keine zusammenfassenden Schlüsse, welche Faktoren den Grundstein für den späteren wissenschaftlichen Erfolg legten. Aus den verschiedenen Beispielen wird aber klar, dass sich Talent und überragende Begabung bei vielen schon in jungen Jahren - zumindest in einigen Gegenständen - abzeichneten. Oft ist die außergewöhnliche Leistungsfähigkeit aber gepaart mit Faulheit und Interesselosigkeit. Eine große Bedeutung misst der Autor deshalb der individuellen Förderung bei: "Wenn auch nur einer unter den Lehrern sich um die Entfaltung einer besonderen Begabung eines Schülers bemüht und die Wege zur weiteren Entwicklung zeigt, ist von schulischer Seite viel getan." Hochbegabte junge Menschen würden aber auch "persönliche Wege zur Entfaltung ihrer Begabung finden" und sich eine "Parallelwelt des Wissenserwerbs" schaffen, wie das etwa bei Karl von Frisch oder Konrad Lorenz mit ihrer Beschäftigung mit Tieren der Fall war. Ein familiäres Umfeld, das eine solche Entfaltung ermöglicht und fördert, ist Voraussetzung dafür - etwa bei Richard Zsigmondy (Chemie, 1925), dem die Mutter schon als Schüler ein kleines "Privatlabor" nächst der Küche gewährte, oder bei Wolfgang Pauli, der "in einem intellektuell und emotionell höchst anregenden Milieu aufwuchs".

Überraschend ist teilweise der Umgang der Schulen mit ihren prominenten Absolventen: Für viele ist die hohe wissenschaftliche Auszeichnung durchaus eine besondere Ehre, sie würdigen "ihre" Nobelpreisträger mit Ausstellungen, Projekten und Gedenktafeln - "über das bloße Wissen um die Persönlichkeiten und ihr Werk hinaus sollen Impulse, Anreize zu wissenschaftlicher Neugier ausgehen", so Leitner. Doch es gibt auch andere Schulen, wo etwa die Ehrung von Prominenten keine Tradition hat, oder man der Tatsache "keine allzugroße Bedeutung zumisst", dass einer der Schüler einen Nobelpreis erhalten hat. (APA)