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Sabine Derflinger: "Beim Thema Krebs nicht vor Angst ins nächste Bodenloch verschwinden".

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Filminitiatorin Frederike von Stechow bei der Chemotherapie.

Foto: Eine von acht

Den Weg zurück in die Normalität findet Marijana Gavric durch ihren Job als Straßenbahnfahrerin.

Foto: Eine von acht
Foto: Eine von acht

"Eine von 8", der neue Film von Sabine Derflinger, begleitet zwei Frauen bei ihrem alltäglichen Kampf gegen den Brustkrebs (siehe auch die Rezension "Man möchte wie alle gesund sein"). Derflingers Name, wie auch jener der Protagonistinnen Frederike von Stechow und Marijana Gavric, ziert im Vorspann das Etikett der Medikamentenschachteln, die in die Kamera gehalten werden - eine gelungene Inszenierung für die therapeutische Wirkung, die die Arbeit an dem Film für die Beteiligten hatte: Er gab der Krebserkrankung - unerklärlich und brutal - einen Sinn.

Als jemand, die Krankenhäuser überhaupt nicht mag, sei der Film auf sie zugekommen und nicht umgekehrt, betont Derflinger im Interview mit dieStandard.at. Sie will die Dokumentation, die im internationalen Brustkrebsmonat (einer Initiative von Pink Ribbon) in die Kinos kommt, als Beitrag zur Entdramatisierung im Umgang mit Krebs verstanden wissen. Über die Angst vorm Tod, Schuldfragen und die Notwendigkeit von Handlungsspielräumen gerade in existentiellen Situationen sprach sie vor dem Kinostart am 16. Oktober mit Ina Freudenschuß.

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dieStandard.at: Ihr Film hat eine sehr traurige Botschaft: Auch wenn man sich gegen eine Krankheit aufbäumt, kann man gegen sie verlieren. Stört sie das?

Sabine Derflinger: Man kann den Kampf gewinnen und man kann ihn verlieren. Die Frage ist, was man in der Zeit, in der man lebt, daraus macht. Das Leben besteht ja nicht nur aus der Zeitspanne, die man hat, sondern auch aus der Intensität.

In diesem Film sieht man, dass die Frauen während des Kampfes gegen die Krankheit ihr Leben leben und dass sie jede Minute nutzen. Die Krankheit ist da, und sie verursacht Schmerzen, aber der Rest des Lebens hört deshalb nicht auf. Man hat trotzdem Spaß und normale Probleme, es gibt trotzdem den Alltag.

dieStandard.at: Vermutlich schockiert der Tod so, weil der Film getragen ist von dem Gedanken, dass die beiden Frauen die Krankheit überleben werden. Die Perspektive auf den Krankheitsverlauf war ja positiv.

Derflinger: 'Eine von Acht' feierte bei der diesjährigen Diagonale Premiere, da war die Frederike gesund. Kurz darauf kam die Nachricht, dass sie Metastasen in der Lunge gefunden hatten. Und dann ging alles ganz schnell (im Juli 2009 starb Frederike von Stechow, Anm.). Man könnte jetzt sagen, sie hat den Brustkrebs besiegt und ist schlussendlich an Lungenkrebs gestorben. Aber am Ende des Lebens steht immer der Tod. Wir wissen nicht, wann er kommt. Wir vergessen sehr oft, dass es im Leben Dinge gibt, gegen die wir keine Chance haben.

Natürlich könnte man fragen, warum ich das Ende nicht geändert habe. Es steht ja nur 'in Memoriam'. Ich denke, der Film glaubt an das Leben und das hat Frederike immer gemacht. Und da ändert ihr Tod auch nichts daran.

dieStandard.at: Sie betonen, dass die Protagonistinnen gleichwertige Gestalterinnen der Dokumentation waren. Wie läuft da die Zusammenarbeit?

Derflinger: Der Film kam ja auf mich zu. Frederike von Stechov wollte einen Film machen, als sie erfahren hat, dass sie krank war. Sie war ja Schauspielerin. Ich kannte sie vorher gar nicht. Sie hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihr den Film zu machen. Ich wolle das genau gar nicht am Anfang, weil ich mit Ärzten und Spitälern nicht gut kann. Dann habe ich aber ja gesagt, auch weil wir uns von Anfang an sehr gut verstanden haben. Insofern ist es Zufall, dass wir über ihre Krankheit gefilmt haben, denn ich hätte jeden Film mit ihr gemacht (lacht). Wir hätten auch was anderes gefunden, wenn es darum ging. Frederike meinte immer, sie möcht mit dem Film der Krankheit einen Sinn geben.

Dann haben wir als zweite Protagonistin Marijana gefunden, die auch in der Chemotherapie war und spontan Lust hatte mitzumachen. Das ist keine leichte Entscheidung damit so nach außen zu gehen, weil man als Krebskranke natürlich immer noch sehr stigmatisiert ist. Nichts ist tabu-behafteter als eine Frau ohne Haare!

dieStandard.at: Für die Dokumentation haben Sie Ihre Aufnahmen mit selbstgedrehten Eindrücken der Frauen gemischt. Warum?

Derflinger: Wir haben die Frauen immer wieder besucht, aber sie bekamen auch selbst Kameras, mit denen sie sich gefilmt haben. Ich wollte, dass sie die Momente aufnehmen, die so intim sind, dass niemand dabei ist, die sie aber doch zeigen wollen. Auch ihr alltägliches Leben mit der Familie wollte ich drin haben. Das Material der Frauen habe ich mir während der gesamten Drehzeit nie angeschaut, erst bei der Schnittvorbereitung. Es war für mich eine absolute Reise, auch filmisch. Diese subjektive Perspektive in einer Zeit, wo ich sie 'objektiv' begleitet habe.

dieStandard.at: Gibt es eine bestimmte Zielgruppe, für die sie den Film gemacht haben?

Derflinger: Eigentlich ist er für jede/n. Immerhin bekommt jede 8. Frau Brustkrebs und viele haben Angehörige, die an Krebs erkrankt sind. Junge, deren Eltern an Krebs leiden, Männer, die oft gar nicht genau wissen, was mit ihrer Frau passiert, wenn sie Brustkrebs hat. Vielleicht kann der Film dazu beitragen, dass man einen neuen Umgang mit der Krankheit findet.

Es gibt aber auch sicher Menschen, die mit der Krankheit nichts zu tun haben wollen, die nicht mit dem Tod konfrontiert werden wollen. Sich mit dem Tod auseinanderzusetzen will man nicht immer, das ist auch nicht lustig, aber prinzipiell ist es nie ein Fehler. So verliert er seinen Schrecken, das ist meine tiefste Überzeugung.

dieStandard.at: Der Tod geht uns alle an?

Derflinger: Auch wenn man nicht zu dem Prozentsatz gehört, der krebskrank wird, ist die Wahrscheinlichkeit, irgendwann im Leben mit einem krebskranken Menschen in Berührung zu kommen sehr groß. Dann ist es auch gut, nicht vor Angst ins nächste Bodenloch zu verschwinden. Der Film holt die Krankheit in die Normalität zurück. Sie darf im Leben sein und ist ein Teil davon. Ich verstehe den Film als Akt der notwendigen Entdramatisierung.

In der Schule lernt man nicht, wie das ist, wenn man sterbenskrank ist. Ich denke, dass es zu den wichtigsten Dingen gehört, uns auch in der Krankheit den maximalen Handlungsspielraum zu erhalten. Es geht auch viel um Wissen und da muss nicht jede einzelne bei null anfangen. Man kann auch aus den Erfahrungen anderer schöpfen, um dann weniger überrascht von den Ereignissen zu sein.

dieStandard.at: Wir befinden uns im aktuellen Brustkrebsmonat. 'Eine von 8' hat in diesem Monat Kinostart. Sehen Sie ihren Film auch als Aufforderung zur Vorsorge?

Derflinger: Die beiden Frauen haben ihren Krebs entdeckt, in dem sie sich abgetastet haben, auf die Signale ihres Körpers gehört haben. Ich denke das ist gut und wichtig.

dieStandard.at: Das Thema 'Selbstverantwortung' in Bezug auf die Krankheit kommt ja auch in Ihrem Film vor. Die Frauen fragen sich, ob sie sich falsch ernährt haben oder zu wenig Dampf abgelassen haben. Ist das eine neue Entwicklung?

Derflinger: Das hat mit der Individualisierung der Gesellschaft zu tun und der Bedeutung des Ichs. Mir war vorher auch überhaupt nicht bewusst, welche Rolle diese Schuldfrage spielt in der Auseinandersetzung mit der Krankheit. Da kommen wir zur ersten Frage zurück. Die Kehrseite der Allmachtsfrage ist natürlich die Schuldfrage. Wenn ich alles in meinem Leben beeinflussen kann, bin ich natürlich auch für alles verantwortlich. Das halte ich schon für gefährlich. Das erzeugt wahnsinnigen Druck. Wir hätten immer so gern einfache Antworten, aber die Welt ist halt viel komplexer.

Krebs ist eine sehr komplexe Krankheit, weil es so viele Formen gibt und bei jedem/jeder anders verläuft. Insofern passt sie sehr gut zu unserer modernen Welt, weil die auch so komplex ist.

dieStandard.at: Hat sich ihr persönlicher Umgang mit der Brustkrebsgefahr durch den Film verändert?

Derflinger: Nein, überhaupt nicht, ich bin da wohl recht sorglos. Natürlich könnte ich auch Brustkrebs bekommen, aber ich als Raucherin fürchte mich da eher vor Lungenkrebs. Der Film hat mich aber schon dazu animiert, liebevoller mit meinem Körper umzugehen. (Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 15.10.2009)