Solidarität in der "desaster zone" am Ende der Geschichte: der Tragödienhybrid des theatercombinats in der Expedithalle der Wiener Ankerbrotfabrik.

 

Foto: Lorant Racz

Die Premiere hat vor allem die Rolle des Publikums ausgebaut.

Wien - Die Lorbeeren für die Arbeit der letzten Jahre konnte sich das theatercombinat unlängst bei der Nestroy-Gala abholen. Da ging der Preis für die beste Off-Produktion (bambiland) an die 1996 in Berlin gegründete und seit nunmehr zehn Jahren in Wien tätige Künstlerformation. In puncto Sprechkunst ist das theatercombinat unübertroffen, und nicht nur deshalb hat sich die Gruppe um Claudia Bosse auch international einen formidablen Ruf erarbeitet.

Berühmt-berüchtigt ist das Combinat aber vor allem für seine stets außerhalb gesicherter Theaterräume stattfindende Kunst. So landen die formatsprengenden Performances in Remisen und U-Bahnschächten oder auf städtischen Leerstellen. Für die Integralversion der im Rahmen eines vierjährigen Tragödienzyklus entstandenen Dramen war nun die Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Wien Favoriten gerade groß genug. Premiere von 2481 desaster zone war am Mittwoch.

Regisseurin Claudia Bosse hat noch einmal an der Uhr gedreht und die Kriegsdramen aus der Serie "tragödienproduzenten" in die Zukunft geschickt, integriert in einem neuen Stück. In einer Gegend nach allen Katastrophen der Welt, in der sich Überlebende frei durch Zeiten und Räume bewegen, treffen die Redner von Aischylos auf Stimmen von Elfriede Jelinek; man muss das aber nicht Science fiction nennen.

"Ich bin eine Bombe"

Die nun ineinanderragenden Texte reichen von Aischylos' Die Perser über Shakespeares Coriolan, Racines Phädra und Jelineks bambiland bis zu Sekundärmaterial etwa von Giorgio Agamben oder Seneca.

"Ich bin Theseus", sagt da einer im weißen Anzug und blonder Perücke. "Ich bin ein Laser-Pointer, ich bin supergenau!" kontert bzw. durchkreuzt ein anderer die Mitteilung. Oder "Ich bin ein Märtyrer, der Schreck jeder Party. Ich war schon in Afghanistan und in der BBC und so". Oder immer wieder: "Ich bin eine Bombe. Ich bin scharf gestellt". "Ich bin der Krieg, ich möchte immer geführt werden".

Die über 2000 Quadratmeter große Fabrikshalle wurde mittels Kalkstaub in ein post-terrestrisches Territorium verwandelt. Der Boden - ein weißes Wüstenfeld, auf dem jede Bewegung ihre Spuren hinterlässt, auch auf den handelnden Figuren. Sie alle sind am Ende mit Kalkstaub bedeckt, eine Folge des Kämpfens, sich Verteidigens oder Fliehens.

Dem Publikum kommt in dieser dreistündigen Hybrid-Fassung eine spezielle Rolle zu: Es nimmt auf Stühlen Platz, die in Fünfergruppen auf schiebbare Rollflächen geschraubt sind. In solchen Sitzgruppen werden die Zuschauer durch das Setting gerollt. Die Performer sind also nicht nur Theseus oder Bambi, sondern auch noch Schubkräfte, die aktiv die Blickrichtung des Publikums immer wieder neu bestimmen.

Diese "lebenden Kamerafahrten" sind das Besondere an 2481 desaster zone. Sie eröffnen dem Aktions- und Wahrnehmungsraum dieser ineinandergeschraubten Multitragödie eine neue Dimension, in der sich das Einzelwesen Mensch auch immer mit sich selbst konfrontiert sieht. Sie macht auch die Autorität gesteuerter Blickrichtung erfahrbar. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.10.2009)