Humpelnde Menschen, Gipsbeine, Krücken. Eilige Gestalten in weißen Kitteln. Ein Mann mit geschorenem Kopf und frisch genähter Platzwunde. Im Wiener AKH ist immer was los. Hier sind aber nicht nur die Ambulanzen bestens besucht, die Betten ausgebucht. Nein, auch die Hörsäle, die das AKH beherbergt, sind rappelvoll mit Medizinern von morgen.

Der Andrang auf die Studienplätze der Wiener Medizin-Uni ist konstant gewaltig, unter anderem auch weil viele Deutsche, die am Numerus Clausus gescheitert sind, ins kleine Nachbarland ausweichen. Wie ist eigentlich die Stimmung zwischen heimischen und deutschen Kommilitonen?

"Passen Sie sich gefälligst an!"

"Es gibt schon eine leichte Ablehnung, im Freundeskreis wird aber eher gespaßt", sagt Alex, der gerade mit seinem Fahrrad vor dem Lernzentrum im AKH vorfährt. Vor drei Jahren ist er von Köln nach Wien gezogen, um Arzt zu werden. "In den Unfall-Krankenhäusern ist der Ton gegen uns schon ruppig", meint sein Studienkollege, der mit Lederjacke und dickem Schal neben ihm steht. Er ist ebenfalls aus Köln, und einmal, als er im Operationssaal auf eine Frage mit "Nee" antwortete, da habe ihm die Ärztin gesagt: "Wenn Sie hier schon studieren dürfen, dann passen Sie sich gefälligst an!" Das habe ihn getroffen. Seinen Namen will er nicht sagen.

"Ich bin ehrlich, wegen des Numerus Clausus" nennt Isabell aus München ihr Motiv, hier zu studieren. Gerade macht sie in der Ebene 5 des AKH Kaffeepause. "Ich sag's aber gleich, ich hab' den Eignungstest geschafft", sagt sie ungefragt, "nicht reingemogelt, wie es immer über die Deutschen heißt." Die Quote für Anfänger - maximal 20 Prozent der Studienplätze für Anwärter mit Reifezeugnis aus einem EU-Land -, die vor allem deutsche Studierende trifft, findet sie "eigentlich okay. Ich würde mich als Österreicher auch ärgern, wenn so viele Deutsche kämen."

Wenig Vorurteile

Fragt man heimische Studenten, gibt es aber so gut wie keine Ressentiments. Das Klischee vom Deutschen, der laut, forsch und grenzenlos selbstbewusst auftritt, stimme so nicht, sagen die meisten. "Arroganz gibt es bei österreichischen Ärztesöhnen genauso", findet der Wiener Medizin-Student Raffael.

Auch auf dem Wiener Publizistik-Institut, das deutsche Studierende eifrig frequentieren, herrscht Gelassenheit. "Mir kommt's nicht so vor, dass die Deutschen uns die Plätze wegnehmen. Sie lassen eh so viele rein", erklärt Dominik aus Salzburg, der vor dem Audimax der Hauptuni auf den Stufen kauert. Der 23-jährige Miki sagt, er wolle zwar nichts gegen die deutschen Kommilitonen sagen, "aber einer nervt ein bisschen. Der sitzt in der ersten Reihe und redet für drei - und immer piefkenesisch." Matthias, ein 21-jähriger Tiroler mit blondgefärbtem Haar und Ohrring, bestätigt: "Die Deutschen reden viel und laut. Und wenn sie in ihren Gruppen sind, dann trauen sie sich mehr zu."

Deutsche unter sich

Annette, die gerade in ihrem Wintermantel vorbeihuscht, gibt sich verständnisvoll. Sie kam vor einem Jahr aus der Nähe von Düsseldorf, "fast schon bei Holland", sagt sie. Nun studiert sie Internationale Entwicklung in Wien. "Es wird viel gemeckert: dass die Deutschen nicht da sein sollen, und dass sie wenigstens dafür bezahlen sollen", sagt sie. Sie fände es auch fair, wenn sie als Deutsche Studiengebühren bezahlen müsste - und Österreicher nicht. "Das fände ich okay. Ich dachte ja letztes Jahr, ich habe mit den 360 Euro schon Glück - und jetzt muss ich gar nichts zahlen."

Sie glaube auch, dass "viele Deutsche unter sich bleiben wollen". Am Anfang habe sie im StudiVZ viele Einladungen bekommen von Leuten, die sie nicht kannte: "So nach dem Motto 'Wir Deutsche in Wien'", sagt Annette, "das klang schon ein bisschen nach Selbsthilfegruppe."

"Pudelwohl" in Österreich

Szenenwechsel. Henric hat sich eben erst an der Fachhochschule für Journalismus in Graz eingeschrieben. Der 20-Jährige mit dem schulterlangen blonden Haar stammt aus Recklinghausen im Ruhrgebiet. Gibt es da Spitzen wegen seiner Herkunft? "Wenn's die nicht gäbe, würde ich mich wundern", lächelt er. Was er oft höre: "Wenn's gründlich sein soll, muss der Deutsche ran." Er nehme es mit Humor. In Graz, sagt er, "fühle ich mich pudelwohl". Müsste er den typischen Österreicher beschreiben, würde Henric sagen: "Negativ gesehen: träge und schwerfällig. Positiv ausgedrückt: gemütlich."

Auch sein älterer Kollege Jochen befindet die Österreicher für "ein bisschen larifari. Die Deutschen sind sicher direkter." Er hat sich an der Grazer FH gut zurechtgefunden. Es gebe nur "das tägliche, kleine Gemecker, von wegen Piefke und so", aber damit könne der 27-jährige Berliner gut leben. "Ich sage immer offensiv, ich bin ein Piefke. Ich stehe dazu."

"Immer gegen die Deutschen"

Am meisten sei ihm seine Herkunft während der Fußball-EM bewusst geworden. "Egal wer gespielt hat, es waren immer alle gegen die Deutschen." Länderspiel-Stimmung gibt es an ihrer Hochschule aber nicht, beeilen sich Jochen und Henric zu sagen.

Was sie von der Fama des deutschen Studienplatz-Räubers halten? Henric: "Ich kenne diese Diskussion aus den Niederlanden. Aber ganz ehrlich: Wenn jemand das Zeug mitbringt für ein Studium, dann ist das doch Jacke wie Hose, woher der kommt." (Lukas Kapeller, derStandard.at, 19.10.2009)