Das Entzweireißen von Rundlingen als hochgefährliche Kunst: Josef Bierbichler auf den Spuren eines KZ-Arztes.

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St. Pölten - Der ehemalige KZ-Arzt Hans Münch wurde als einziger von vierzig Angeklagten im Krakauer Auschwitz-Prozess 1947 freigesprochen und arbeitete bis in die späten 80er-Jahre als Landarzt im Allgäu. Er starb 2001 im Alter von 90 Jahren. Die Interviews, die der Journalist Bruno Schirra mit dem Exarzt von Auschwitz wenige Jahre vor dessen Tod geführt hatte und die 1998 im Spiegel veröffentlicht wurden, legen allerdings eine latent menschenverachtende Haltung offen, die um sich selbst nicht zu wissen scheint und vor der die Justiz allzu leicht kapituliert(e). Ein aufgrund dieses Interviewmaterials neu angestrebtes Verfahren wurde aufgrund von Münchs Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

Die Interviews zeugen von einer Sprache gewordenen Niederträchtigkeit und Dummheit, die in einer aufgeklärten, jedoch insgeheim an ihre eigene Überlegenheit glaubenden Gesellschaft unverrückt festsitzt. Josef Bierbichler hat die Gesprächstranskripte in einen Theatermonolog verwandelt, der vor drei Jahren unter dem Titel Holzschlachten an der Schaubühne Berlin Uraufführung feierte. Am Samstag war er damit zu Gast am Landestheater Niederösterreich.

Holzschlachten ist Sprachkritik, die am Theater kaum klüger darstellbar ist. Der Fokus auf die Sätze und das Vokabular des Arztes, das Josef Bierbichler (Idee, Konzept, Schauspiel) wie ein entfernter Onkel im Fauteuil aus sich herausschält, erzeugt im ersten Teil eine frappante Kenntlichkeit der Kälte und Selbstgefälligkeit eines zumindest von der Justiz unerkannten Täters.

Bierbichler spricht als ehemaliger KZ-Arzt über den "Dienst" in Auschwitz. Und dass man über solche "Interna" vielleicht gar nicht sprechen müsste. "Der Betrieb an der Rampe war jeweils sehr verschieden". Und bei den Kindern ging das Töten "human".

Die vollkommene Reduktion der Mittel (auch im Sprechen) bringt jede dem Sujet eingeschriebene Geste zum Verschwinden. Im Raum steht lediglich die auf dem sanften Sitzmöbel gepolsterte Brutalität dieser Sprache und die damit einhergehende Realität.

Furcht und Unruhe

Die sichtbare Brutalität verlagert Bierbichler in den zweiten Teil. Hier koppelt er Unruhe-Monologe des Schriftstellers Florian List an die Münch-Interviews und findet im Spalten von Holz ein gewaltiges und schon legendäres Bild. Schwere, rohe Ein-Meter-Stämme stehen wie ein kleiner Wald hinter dem Fauteuil auf der Bühne.

Mit präzisen Axthieben reißt er die Rundlinge entzwei, setzt Eisenpflöcke ein, legt die Stämme zu einem Scheiterhaufen, auf dem es sich später zu opfern gilt. Die Monologe erzählen von nicht näher definierten quälenden Erinnerungen und schmerzhaften Träumen, von einem "schwefelgelben Himmel" und verwunschenen Tieren, die dem Menschen ins Gesicht blicken. Bilder und Angstzustände, die sich wie ein umgekehrtes Spiegelbild zum Bewusstseinszustand des Arztes verhalten und in ihrer Wucht große Wirkung erzielen.

Es sind die Details, die dieses Theater vervollkommnen: Die den Theaterboden erzittern lassenden Holzschläge vollführt Bierbichler im dünnen, weinroten Pyjama - ein schmerzhafter Anblick, bei dem man voll und ganz auf die Könnerschaft des Holzhackers Bierbichler vertrauen muss (die Verletzungsgefahr ist enorm). Auch der leise, kurze Geigenspaziergang von Mona Raken deutet etwas an: die Schmerzen, die in Existenzen (nicht) gefühlt werden.

Zwischen Martin Walsers umstrittener Paulskirchen-Rede 1998 einerseits, in der er seinem Überdruss an nicht enden wollender Geschichtsaufarbeitung Luft machte ("Dauerrepräsentation unserer Schande") und einer mittlerweile trägen, gar gleichgültigen Routine der Vergangenheitsbewältigung andererseits hebt Josef Bierbichler einen Abend aus der Taufe, der ohne schwere missionarische Fracht zeigt, welche Realität in der Sprache steckt. Ein großer Abend. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe 23.11.2009)