Während seiner fünf-wöchigen Besetzung füllte sich das Wiener Audimax bisweilen bis zum Bersten. Der Titel der unpolitischen Generation könnte so ausgedient haben. Das Internet ist dabei großer Komplize. Schwerfällig und wenig ausdauernd gestaltet sich hingegen die Organisation einer Demokratie der vielen, ohne Köpfe

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Wien - Die Besetzung des Auditorium maximum begann mit einem Zufall. Angezettelt von Kunststudenten, versammelten sich am 22. Oktober zu Mittag 200 Studierende im Sigmund-Freud-Park zu einer Demo. Unangemeldet. Die Polizei löste die Kundgebung deswegen auf, und man wich dorthin aus, wo man als Rudel von Studenten sein darf: an die Uni. "Wir schlurften planlos durch die Gänge, und dann besetzten wir spontan das Audimax", erzählt eine Studentin, die dabei war.

In den folgenden Tagen und Wochen entwickelte sich eine Bewegung, deren Enthusiasmus und Potenzial ihresgleichen sucht. Am Anfang herrschten Party, Euphorie und Chaos. Nach zwei Tagen Exzess konnten sich in atemberaubender Zielgerichtetheit jene durchsetzen, die es mit ihren Anliegen ernst meinten. Pressestelle, Homepage, Arbeitsgruppen und die Volxküche erhoben sich in Selbstverwaltung aus dem Nichts.

Wellenbewegung des Internets

Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich eine Dynamik, die nicht nur unter Studenten Aufsehen erregte. Ein zentrales Moment der Mobilisierung: das Internet. "Anliegen und Proteste können schnell weiterkommuniziert werden und setzen diese Wellenbewegung fort", meint Gertraud Diendorfer, Geschäftsführerin des Demokratiezentrums Wien. "Das Internet hatte von Beginn an dieses demokratische Potenzial als Versprechen in sich." Der offen zugängliche Live-Stream machte die Abendplena legendär und scharte ein breites Publikum um sich - oft an die 2000 Zuseher.

In wenigen Tagen waren nicht nur in Wien, sondern in ganz Österreich Unis besetzt - ein Bruch mit den vorherrschenden Klischees der unpolitischen "Generation Pragmatismus". Der neue politische Stil gab sich selbst einen Namen: "Audimaxismus".

Hat er also die Unpolitischen letztlich mobilisiert, oder hat man dieser Generation einfach von vornherein das falsche Etikett angeheftet? Im "historischen Vergleich etwa mit 1968 war man sicherlich überrascht", meint Diendorfer. Den Jugendlichen heute werde politische Apathie nachgesagt, was auch Studien zeigen.

Dieses Bild könnte durch die Besetzung verändert werden. "Es gibt einen Zusammenhang zwischen der politischen Beteiligung an Protesten und einem später gesteigertem Partizipationsverhalten", weiß Diendorfer. "Erfahrungen wie eine Demonstration sind für eine politische Sozialisation sehr gut und öffnen den Horizont."

Werner Reichmann, Soziologe an der Universität Konstanz stellt der Audimaxbesetzung im Vergleich zu früheren Bewegungen ein gutes Zeugnis aus: "Sie organisieren sogar Putztrupps. Die 68er hätten den Dreck liegen gelassen." Im Gegensatz zu früher würden die Proteste in einer Weise geführt, dass die "Eltern stolz sein können".

Noch nie hatte sich eine Studentenprotestbewegung so um positives Auftreten bemüht - in Gesellschaft und Medien.

Die ÖH ist tot

Das eigentlich Revolutionäre der Aufstände ist: Die ÖH hat nichts mehr zu melden. Bisher war die politische Interessenvertretung der Studierenden immer das Sprachrohr von Protesten. Doch die Audimax-Bewegung ist unabhängig von politischen Organisationen. Symptomatisch wurde die ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer gleich am zweiten Tag von der besetzten Bühne gepfiffen.

Die Politiker sind ratlos. Wie verhandelt man mit einem Kollektiv ohne Kopf, das sich weigert, Repräsentanten zu ernennen? Das Brechen der Regeln im Spiel der Politik stößt sauer auf. So ist Wissenschaftsminister Johannes Hahn bis jetzt nicht ins Audimax gekommen. Seine Aussage, er könne nicht mit "irgendwelchen Studenten" sprechen, sorgte für Gelächter unter den Besetzern. Basisdemokratie ist als politische Idee heilig, doch in der Praxis vor allem eines: anstrengend. So könne die Bewegung ausgehungert werden, meint Reichmann: "Die größte Gefahr ist das Sitzfleisch der Beamten." (Astrid-Madeleine Schlesier, Julia Grillmayr, Tanja Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2009)