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Der bundesweite Aktionstag am 17. November verschaffte der Studentenprotestbewegung in Deutschland Aufwind. In Berlin demonstrierten Tausende gegen den Bologna-Prozess und die Studiengebühren.

Foto: Reuters/Bensch

Heidelberg/München/Berlin - Über die wenig anarchischen Besetzungen spottete Harald Schmidt in der letzten Woche: "Halten Sie mich für altmodisch, aber für mich gehören zu einem richtigen Studentenprotest brennende BHs und nackte Titten." Ein Etappenziel der erzürnten Studierenden ist offenbar erreicht - auch in den überregionalen Medien werden sie erwähnt. Ihre Situation ist das Thema einer großen öffentlichen Debatte.

Anfangs wurde nur vereinzelt besetzt - aus Solidarität mit dem Protest in Österreich. "Die Wiener Besetzung war die Initialzündung. Wir hatten selbst Aktionen für den Herbst geplant. Die haben wir vorgezogen", sagt Nicolai Ferchl, einer der Pressesprecher der Heidelberger Besetzung. Hier nutzen die Studierenden Erfahrungen vom letzten Bildungsstreik: Von Verwaltungsgebäuden hat das Protestbündnis diesmal die Finger gelassen, um keine schnellen Räumungen zu provozieren. In anderen Städten haben die Behörden bereits eingegriffen. In der Stadt am Neckar wird mehr auf Kooperation mit der Universitätsleitung gesetzt.

Auch bei der Blockade in München geht es nicht um Konfrontation: Keine Lehrveranstaltung soll betroffen sein, Ersatzräume werden organisiert. "Wir wollen niemanden am Studieren hindern", bekräftigt Sarina Balkhausen, eine Münchener Besetzerin. Aber es sollen möglichst viele Studierende einbezogen werden. Die Agitation politischer Gruppen hält man klein, Meinungsverschiedenheiten werden basisdemokratisch und in Arbeitsgruppen gelöst. "Wien ist das Vorbild."

Der bundesweite Aktionstag erzeugte eine neue Dynamik: In vielen Städten kam es zu lautstarken Protesten, zahlreiche Hörsäle wurden spontan an sich genommen. Bis jetzt wird in 64 deutschen Hochschulen besetzt. In Berlin versammelten sich über fünftausend Studierende. "Es sind viele neue Gesichter dazugekommen. Anfangs haben sich in der Diskussion bestimmte Gruppen nach vorne gedrängt, die wir aber dazu bringen konnten, sich zurückzunehmen", fasst Emanuel Frobel, Vertreter der Fachschaft Geschichte, zusammen.

Auch die Elite protestiert

Die Proteste finden auch an den sogenannten "Eliteuniversitäten" statt. Verwunderlich: Der kleine Kreis von Hochschulen, die seit 2006 besonders gefördert werden, sollte doch kaum Grund zur Beschwerde haben. "Hauptsächlich geht das Geld aber in die Forschung. Der Lehrbetrieb wurde völlig vernachlässigt", konstatiert Frobel. Balkhausen fordert: "Die Unterstützung muss gerecht verteilt werden. Wenn schon Elite, dann für alle."

Anders als in Österreich stimmen beim deutschen Nachbarn auch viele ranghohe Politiker der Kritik am derzeitigen Zustand des akademischen Systems zu.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) räumte "handwerkliche Fehler" bei der Einführung der neuen Studienpläne ein. Außerdem will sie Gespräche führen und die Studienbeihilfe (Bafög) erhöhen. Doch die Studierenden halten das für Lippenbekenntnisse. Alina Fedorchuk, Presse-Team München: "Die Erhöhung der Studienbeihilfe ändert die Studienbedingungen nicht. Das ist einfach ignorant." Auch Tobias Langguth von der Hochschülerschaft der Uni Kiel bezweifelt die Nachhaltigkeit dieser Geldspritze: "Das ist bloß ein kleines Leckerli."

Schavans Möglichkeiten sind ohnehin eingeschränkt. Sie gibt hauptsächlich Richtlinien vor. Die Umsetzung organisieren die 16 Bundesländer jeweils selbst. Daher suchen sich die Studenten andere Adressaten. In Kiel (Schleswig-Holstein) verschob man die Demonstration um einen Tag und positionierte sich in Nähe des Landtags, der sich erstmals nach der Neuwahl Ende September wieder versammelte.

In Niedersachsen zeigten die Proteste erste Wirkung: Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) kündigte Änderungen bei den Bachelor-Studiengängen an. Ebenso Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP), der am Montag das besetzte Audimax der Uni München besuchte.  (Johannes Lau, DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2009)