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Was bedeuten die Kategorien sex und gender im Sport? Der Fall Caster Semenya gibt Rätsel auf.

Foto: APA/epa/KIM LUDBROOK

Die Frau ist 18 Jahre alt. Trotzdem wird sie gerne als "Mädchen" bezeichnet, "Goldmädchen" "unser Mädchen", "sie ist ein Mädchen" - wenn der Begriff "Frau" auftaucht, dann nur als Frage: "Handelt es sich bei der maskulinen Sportlerin wirklich um eine Frau?" Im August dieses Jahres hatte die südafrikanische Läuferin Caster Semenya bei der Leichtathletik WM in Berlin spektakulär die Goldmedaille über 800 Meter der Frauen gewonnen. Doch wegen einer enorm gesteigerten Leistung, und vermutlich auch wegen ihres Erscheinungsbildes, waren schon im Vorfeld Zweifel an Semenyas "Weiblichkeit" aufgekommen. Der Internationale Leichtathletikverband IAAF ordnete einen Geschlechtstest an. Die offiziellen Ergebnisse sollten am 20./21. November bekannt gegeben werden, doch der Termin wurde überraschenderweise noch einmal verschoben, weil angeblich die medizinischen Tests immer noch nicht abgeschlossen sind. Das zeigt, wie brisant der Fall eingeschätzt wird. Dank der gut funktionierenden Diskursmaschinerie wusste allerdings schon im September die ganze Welt, wie Semenyas Genitalien aussehen, nämlich weiblich, und dank schon vorher durchgesickerter Ergebnisse, dass sie ein mehrfaches des üblichen Testosteronwertes und keine Eierstöcke hat.

Prominente VorläuferInnen

Das Semenya-Dilemma ist nicht das erste dieser Art und wird nicht das letzte sein. In den weiblichen Wettkampfklassen begleitet Gender trouble den Leistungssport fast so treu wie das Thema Doping und tritt in allen möglichen Variationen auf. Prominent sind die Beispiele der transsexuellen Stabhochspringerin Yvonne - heute Balian - Buschbaum, der unfreiwillig mit Testosteron gedopten DDR Kugelstoßerin Heidi Krieger, die heute als Andreas Krieger lebt, oder der offenbar intersexuellen 800 Meter Läuferin Santhi Soundarajan, die bei Olympia 2006 Silber gewann, nach einem Geschlechtstest aber als Mann eingestuft wurde. Auch halbe Camouflage ist schon vorgekommen: An den olympischen Spielen 1936 nahm die Hochspringerin Dora Ratjen teil, die sich einige Jahre später dann als Mann entpuppte.

Was bedeuten die Kategorien sex und gender im Sport? Fälle wie der von Semenya machen in vieler Hinsicht ratlos, besonders aber, wenn man sich aus der Perspektive der aufgeklärten Geschlechterkritik dazu verhalten möchte. Es ist nämlich nicht ganz klar, wie deren Position aussehen sollte. Oder anders herum: Es ist zu klar, und deshalb unbefriedigend.

"Doing Gender"

Die kritische Gendertheorie basiert auf der grundlegenden Annahme, dass Geschlecht in erster Linie keine natürliche Tatsache, sondern eine soziale Konstruktion sei. Judith Butler führte hierfür die Formel des "doing gender" ein, das heißt, dass wir beständig ein Geschlecht "performen", das es in Reinform gar nicht gibt. Ohne Lady-Shave würde recht schnell klar, wie viele Frauen eigentlich Bärte haben. In der Rede von "doing gender" steckt die These, dass Geschlecht ein durch und durch ideologisches Konzept ist. Am Beispiel von Semenya war das sehr gut zu verfolgen. Für kurze Zeit wurde sie zum Spielball leistungsfixierter Sportfunktionäre, Politiker und in voyeuristischem Mitgefühl schwelgender Medien. Höhepunkt des Schmierentheaters war, dass der südafrikanische Sportminister dem IAAF Rassismus unterstellte und in heuchlerischer Empörung den "Dritten Weltkrieg" ankündigte, sollte Semenya die Goldmedaille zurückgeben müssen, während die südafrikanische Illustrierte "You" sie in sexy Kleidern abgebildet haben soll, um ihre "Weiblichkeit" auszustellen. So wird Sexismus gegen Rassismus ausgespielt.

Die kritische Geschlechterforschung stellt Fragen auf andere Weise, als wir es herkömmlich tun würden, das ist ein wesentlicher Teil ihrer Methode. Demnach wäre ihr Problem auch nicht: Was ist das Geschlecht von Caster Semenya?, sondern: Warum wollen das alle so genau wissen? Welche Normalisierungsprozesse setzen hier ein, warum muss sie unters Verdikt der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit gestellt werden, und sei es durch den Nachweis, dass sie nicht hineinpasst? Vielleicht muss die Läuferin, deren Geschlecht jetzt per Dekret bestimmt wird, nur stellvertretend dafür büßen, dass gender und "Natürlichkeit" im Sport immer fragwürdig sind.

Falsche Fragen

All dies festzustellen ist berechtigt. Dennoch entsteht der Eindruck, dass die Analyse einen interessanten Punkt nicht berührt, nämlich: Was ist denn nun mit den Testosteronwerten? Bewirken die nicht was? Falsche Fragen. Die Logik der Gender-Kritik fußt auf einer pragmatischen und klaren Ausblendung physiologischer Realitäten. Der Körper wird zwar nicht geleugnet, aber es darf nicht auf seiner Basis argumentiert werden. Zu Beginn der Gender-Debatten waren "Biologismus", "Naturalismus" und "Ontologisierung" Sakrilegien par excellence, kein Argument durfte in ihre Nähe kommen. Später setzte man zwar den Körper an zentrale Stelle, aber es wurde strikt nicht physiologisch über ihn gesprochen. Er galt als Produkt von Bio-Mächten, gesellschaftlichen Einschreibungen und medizinisch-sozialen Praxen. Auch diese Position ist berechtigt, weil sie die durch und durch kulturelle Formung des geschlechtlichen Körpers reflektiert. Doch leider sind Analysen nach diesem Muster in einem hohen Maße vorhersehbar. Und leider kann in diesem Rahmen die einfache Frage nach der sportlichen Auswirkung von Hormonwerten nicht gestellt werden.

Man sollte den Gender-Theorien nicht Unrecht tun. Nur steht zu befürchten, dass der Ausschluss bestimmter Fragen sie irgendwann einholen wird. Hinzu kommt eine neue Konjunktur biologischer und biologistischer Überzeugungen, und es ist noch nicht klar, wie man damit umgehen soll. Gerade im Herzen der queeren Bewegung wächst eine Vorliebe für die Evidenz physiologischer Manipulation: Etliche transpeople, also Menschen mit wechselnder Geschlechtsidentifikation, zeigen beeindruckend, wie viel man mit Hormonen anstellen kann.

Heute sind es auch eigentümlicherweise die ehemals viel gescholtene Biologie und Medizin, die für eine differenziertere Sichtweise auf Geschlecht in Anspruch genommen werden können. So wie die Biologie - erinnern wir uns an Schulbücher - Sachwalterin der klaren Mann-Frau Unterscheidung war und ist, liefert sie gleichzeitig die besten Argumente, dass Geschlecht eigentlich sehr fließend und gar nicht so genau zu bestimmen ist. Und so wie die endokrinologische und chirurgische Medizin bestrebt ist, durch Operationen und Hormonbehandlungen eindeutige Geschlechter herzustellen, betreibt sie gleichzeitig und im Verein mit etlichen Geschlechteraktivisten ein fröhliches "doing transgender".

Geschlecht als "heikles Merkmal"

Und was tun mit Caster Semenya? Der double bind des Spitzensports besteht darin, dass er der Faszination des natürlichen, aber hyperpotenten Körpers aufsitzt, er will übermenschliches Maß erreichen, ohne die Illusion des Menschenmöglichen aufzugeben. Eigentlich erfüllt Semenya das Spitzensportideal vollkommen. Der entscheidende und unbestritten sehr natürliche Vorteil, den ihr die vermutlich nach innen gewachsenen Hoden verschaffen, wird aber anders bewertet als die üblichen körperlichen Vorteile von Sportlern wie etwa Größe, Muskelkraft oder Herzvolumen. Bei Intersexualität sieht die Sache anders aus, der gesellschaftliche Marker "Geschlecht" ist auch im Sport heikler als andere Merkmale. Man könnte nun argumentieren, wie kürzlich in einem Interview mit der Soziologieprofessorin Sabine Hark im Tagesspiegel und auf Zeit-Online geschehen: Wenn Michael Phelps große Füße haben darf - ein klarer Vorteil beim Schwimmen -, darf Semenya wohl auch Hoden haben. Aber so einfach ist das nicht. Wir kommen hier mit "doing gender" nur halb weiter, und so schmerzlich es gerade für den weiblichen Teil der Menschheit sein mag: Männer sind im Durchschnitt für Kraftsportarten besser ausgestattet und können bei Training zu höheren Leistungen gezüchtet werden. Semenya hat vermutlich diesen physiologischen Vorteil. Sie zu disqualifizieren ist grausam, aber im Rahmen des bestehenden Systems verständlich.

Sport ist ein sozialer Raum mit sehr eigenen Regeln. Geschlecht fungiert hier nicht nur als soziale Kategorie sondern ganz pragmatisch als Leistungsklasse. Natürlich sollte bewusst sein, wie fragil, willkürlich und historisch solche Klassements sind, inklusive der Unterscheidung nach Geschlecht. Dennoch wäre es keine gute Idee, aus queerer Lust die Auflösung der Geschlechtergrenzen zu fordern, denn das würde Frauen unter sehr ungleiche Wettbewerbsbedingungen stellen. Sie hätten schlicht keine Chance. Wir kommen aus dem Zirkel nicht heraus: der Leistungsbegriff in den meisten Sportarten ist auf männlich identifizierte Körper zugeschnitten, weswegen Männer dann auch in der Regel schneller, stärker, toller sind und Leistungsverbesserung Angleichung ans Männliche bedeutet. Die Geschlechtsklassen aufzuheben würde allenfalls in der Weise einen gerechten Sinn machen, dass man Frauen zwar mit Männern, nicht aber Männer mit Frauen konkurrieren lässt.

Semenyas Fall führt in ein Dilemma für die kritische Geschlechtertheorie. Wenn sie die körperliche Differenz ernst nehmen will, ist der Widerspruch nicht lösbar. Im Sportsystem eine dritte Kategorie zwischen Mann und Frau einzuführen, verschöbe das Problem nur und wäre, da Intersex nun so oft auch nicht vorkommt, wenig praktikabel. Bleiben wir beim entweder/oder von zwei Geschlechtern, verfügt Semenya, hart formuliert, nicht über die körperlichen Voraussetzungen, am Wettbewerb teilzunehmen. Pech gehabt. Man könnte natürlich mit derselben Geste die Bewertung umkehren und sagen: Glück gehabt. So selten wie Intersex ist, könnte man ihn auch positiv diskriminieren und Semenya in der Gruppe der Frauen antreten lassen. Es soll ja Gesellschaften geben, in denen das dritte Geschlecht als heilig gilt. (Andrea Roedig, dieStandard.at, 9.12.2009)