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Schreihälse, die vor Cäsars Totenmaske die Welt unter sich aufteilen, v. li.: Marcus Antonius (Wolfram Koch), Lepidus (Marcus Kiepe) und Octavius Cäsar (Alexander Scheer).

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Von keinerlei Blässe des Gedankens angekränkelt, regiert der Ausstattungskitsch.

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Wien - In Shakespeares Antonius und Cleopatra wird die große Weltpolitik noch einmal ins Entspannungsbad getaucht: Ein alternder römischer Feldherr namens Marcus Antonius (Wolfram Koch) verfällt den Reizen einer ägyptischen Königin (Catrin Striebeck). Er, der doch alle Fähigkeiten besäße, das römische Imperium zu regieren, wird von einer Hollywood-Metze mit Asterix-Perücke auf kleiner Flamme erotisch weichgekocht.

Die Folgen dieses Techtelmechtels liegen rasch auf der Hand: Die Welt geht zugrunde. Der ägyptische Orient reibt sich an der Wiener Burg am römischen Okzident.

Nachdem ein beleibter Seher (Hermann Scheidleder) auf offener Bühne in wirren Worten die Pflichtvergessenheit des Feldherren gescholten hat (dieser urlaubt am Nil), fährt ein mit Plexiglas verkleideter Entspannungspool nach vorn an die Rampe. Badeschaum wird auf ermüdete Feldherrenglieder gestrichen: Das größte Liebespaar der Welt feiert seinen wohlverdienten Wellnessurlaub. Bereits von dieser ersten Dummheit wird sich Stefan Puchers hanebüchene Inszenierung nicht mehr erholen.

Von nun an verkommt die zauberhafteste, weil auch rätselhafteste aller Shakespeare-Tragödien zur Offenbarungsleistung des übelsten Schaustellereigewerbes. Als wollte Octavius Cäsar (Alexander Scheer) vor der Zeit einen Triumphzug abnehmen, rollen Podestwagen durch die Tiefe des Raums.

Auf Barbara Ehnes' Bühne herrscht absehbar das Ethos der Wiener Wurstelprater-Betreiber: Sobald die Szene wechselt, wird eine Barke nach vor geknallt. Rom, wo zwei Drittel des Triumvirats (Octavian, Lepidus) missgünstig auf Antonius' erotische Mühewaltung hinüberschielen, wird durch eine übermannshohe King-Kong-Figur versinnbildlicht. Ein dummer Imperatorenfratz (Scheer) im weißen Freizeit-Dinnerjacket weiß sich vor lauter Empörung gar nicht mehr zu zügeln: Antonius "fickt"! In einem Dritte-Welt-Land! Pflichtschuldig wird ein Plastikelefantenmausoleum in Fahrt gebracht.

Ägyptische Kreuzotter

Kleopatra sitzt, flankiert von ihren reizenden Gespielinnen, willenlosen Produkten der Perückenmacher-Innung, auf einem Schlangenthron. Wann immer Frau Striebeck ihren Unmut über die Weltpolitik bekundet, zischt sie los wie eine Kreuzotter.

Ihrem mürben Charme ist ein etwas mürrischer Abteilungsleiter namens Mark Anton verfallen: Der würde in seiner blauen Lord-Kitchener-Uniform auf jeder Offiziersmesse höhnische Lacher ernten. Er stapft aufgeregt über die viel zu große Bühne. Rollt schartig die Verse, die ein gewisser Jens Roselt in ein ehrfurchtgebietend schlechtes Bürokratendeutsch übersetzt hat. "Sag doch mal was Konkretes", sagt man in Ägypten. Dabei hatte Shakespeare dem größten Liebespaar der Welt die schönsten Monologe mit auf den Weg in den Untergang gegeben.

Dass der Tod eine ultimative Form der Lustbereitung sein könnte: Solche und ähnliche Einsichten wird man in dieser Unternehmung vergeblich zu gewinnen suchen. Niemals kommen die Schauspieler miteinander ins Spielen. Sie müssen auf fahrbaren Untersätzen ödesten Frontalunterricht leisten: Wer einmal ins Netz der ägyptischen Schlangenfrau gegangen ist, der trägt türkisblaue Lidschatten. Der Orient kocht die republikanischen Tugenden der Römer weich!

Mit der Gesinnung eines leitenden H&M-Ausstatters befördert Pucher das Stück geduldig in den Orkus. Weltpolitik wird von ein paar Schreihälsen gemacht, die sich, wenn sie nicht gerade einen Texthänger haben, wie Ziggy Stardust (Scheer) mit umgeschnallter Stromgitarre durch die "Popkultur" klampfen. Natürlich müssen wieder einmal Videos für die "mediale Vermittlung" unserer Wahrnehmung von Welt einstehen. Der Tod (ein Schlangenkuss vom Mund des Sehers) lässt die in Lametta gehüllte Königin zur Figurine erstarren.

Die zirka vorvorletzte Bühnenmoderne, abgefrühstückt zwischen Hamburg, München und Zürich, hat nun endlich das Wiener Burgtheater erreicht. Im ohrenbetäubenden Jubel der Claque wurde dennoch der Unmut des Wiener Publikums akustisch deutlich: Cleopatra wurde im Nil versenkt. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 22.12.2009)