Sankt Pölten - In das Bühnenschwarz der Box des Festspielhauses Sankt Pölten mischen sich Linien und eine Insel in Pappkartonbraun. Von den Zuschauerrängen schallen junge Stimmen. Im Rahmen von Australia in Residence haben sich Claudia de Serpa Soares und Grayson Millwood, beide über viele Jahre Tänzer bei Sasha Waltz & Guests, mit ihrem ersten eigenen Stück Edgar vorgenommen, auch junge Leute an das zeitgenössische Tanztheater heranzuführen. Gleichzeitig umgehen sie mit ihrem Ausflug ins akrobatisch und poetisch Verspielte den strengen Vergleich mit der choreografischen Handschrift der berühmten Berliner Tanztruppe.

Am Rande der kleinen Kartonsammlung lagert ein unförmiger Riesenmensch in ausgeleierten Kleidern. Aus einem altmodischen Kassettenrecorder strömt eine Geräusch- und Klangkulisse, und kaum öffnet er den Schraubverschluss eines Essiggurkenglases, bemächtigt sich der scharfe Gurkengeruch des Raumes: magischer Treibstoff für bescheidene Traumwelten. Denn nach einer Stärkung aus dem Glas erfolgt die Verwandlung des dicken Riesen, das Abtauchen in eine abenteuerliche Varieté-Vergangenheit: Hände und Füße verdoppeln sich, lassen aus dreieckig gefalteten Papierstücken ein kleines Ballett und Girlanden entstehen. Schließlich winden sich aus dem einen dicken Körper zwei Gestalten in Spiralbewegungen und gewagten Balanceakten: eine sehr kleine und eine sehr große.

Aber kaum haben sich die beiden Edgars auseinanderdividiert, trachten sie auch schon jeder für sich die Gunst des Publikums zu erlangen. Ein Versteckspiel zwischen immer neu aufgebauten Kartons beginnt, doch ein dritter Mitspieler, eine Kartonfigur, schafft Versöhnung: ein Kräftemessen im Stil der 20er-Jahre, nach den eingelegten Gurken "Amazing Pickle Show" benannt.

Die dargebotenen Kunststücke reichen von ausgefeilten Hebeposen mit eingebautem Momentum bis zu einem Wrestling-Match. Beim Armdrücken etwa wirbelt der große Edgar gleich den ganzen kleinen Edgar herum.

Das Spiel der Gegensätze und Gegengewichte, das die Mann-Frau-Thematik einmal außen vor lässt, versetzt tatsächlich in Staunen und hat atmosphärisch etwas von einem Kuriositätenkabinett. Sogar die am Ende giftig von innen heraus strahlenden Gurkengläser am vorderen Bühnenrand gemahnen an altertümliche Zaubermittel. Zu sehen ist Edgar am Freitag, auch abends. Weitere Produktionen der australischen Splinter Group: Lawn am 16. Jänner, Legless am 20. und 23. Jänner, Remember Me am 22. Jänner. (Bettina Hagen/ DER STANDARD, Printausgabe, 15.1.2010)