Wien - Julia Cencig, Hauptakteurin der neuen Volkstheater-Produktion, könnte auch die echte Lulu spielen, und es wäre gut, beides: die echte, nämlich die aus Frank Wedekinds ehemaligem Skandalstück Die Büchse der Pandora (1901), und die Cencig als Lulu darin. Das Wiener Volkstheater spielt aber nicht Wedekind, sondern hat einen Stückauftrag an Gustav Ernst gegeben. Und dessen Lulu wurde am Sonntag im VT-Forum U3 uraufgeführt.

Alle schlagen sich wacker. Der Autor hatte es ja auch schon nicht leicht: Sollte er eine Wedekind-Paraphrase schreiben oder eine Parodie, ein Pastiche, einen Metatext zum riesigen Lulu-Material? Frank Wedekind hatte mit seiner "femme fatale" schon enzyklopädisch die männlichen Frauenprojektionen des 19. Jahrhunderts versammelt: die Frau als sündige Verführerin (also Eva und Schlange in Personalunion), als Hure, als nixenartig gleitendes Gegenbild zur zementierten bürgerlichen Ordnung. Zugleich noch Lulu als die durch maßlosen Eros ebendiese Ordnung Bedrohende und damit die Männer, Baumeister dieser Ordnung, mordende.

Was bleibt da einem Autor hundert Jahre später noch zu tun? Gustav Ernst entscheidet sich am ehesten noch für einen Metatext. Er entwickelt eine Art von "Gerichtsverhandlung Lulu". Es läuft, wie das Prozesse so an sich haben, nicht glatt und gleichmäßig spannend ab, auch literarisch nicht.

Jedenfalls: Lulus Freun- din, die lesbische Gräfin Geschwitz, hat sich in eine aufdringliche und psychoanalytisch verdorbene Reporterin verwandelt (Cornelia Köndgen). Regisseur und Ausstatter Alexander Kubelka lässt seine Lulu in rotem Anorak als Straßenstricherin vom U-Bahn-Aufgang in den Raum gehen, gleich belagert von einem Autor mit Schreibmaschine (Alexander Lhotzky): Verwertung der Frau in Geschichten über sie, literarischen, dramatischen, psychoanalytischen.

Die Regie betont das männliche Glotzen: Immer sind um Lulu herum ihre gewesenen, gegenwärtigen oder hinkünftig zu mordenden Männer als lebende Galerie versammelt, und Julia Cencig hält sie alle in Schach (tapfere Knechte: Thomas Evertz, Peter Vilnai, Robert Hauer-Riedel). Sogar dem bei Gustav Ernst vom Athleten zum (Frauen-)Masseur degradierten Rodrigo (Christoph von Friedl) wird jede Potenz abgesprochen.

Manchmal - nicht nur in solchen Jelinek-Anspielungen - geht der politisch korrekte Wille aber zu weit: Muss ein Lulu-Vergewaltiger unbedingt ein "christlichsozialer Politiker" sein? Aber, wie in diesem Fall Rainer Frieb: Die Schauspieler retten, was zu retten ist. Es bleibt: einiges. (DER STANDARD, Printausgabe vom 7.4.2003)