Gekünstelte Gesten bis zum Überdruss: Peter Konwitschny macht operettenhafte Übertreibung zum Grundprinzip seiner müden, zermürbenden Inszenierung von Kálmáns "Csárdásfürstin"

Foto: Opernhaus Graz

Zwischen Operettenparodie und Drastik mündete der musikalisch unauffällige Abend in Belanglosigkeit.

Graz - Sie sind auf der Flucht vor der Realität, die Herren und Mädchen im Budapester Etablissement Orpheum. Diese Scheinwelt, in der die Rollen zwischen Mann und Frau, Reich und Arm, Adel und Unterprivilegierten fein säuberlich verteilt sind, bekommt allerdings in der Csárdásfürstin alsbald deutliche Risse.

Am Ende sind die Grenzen verschoben, Standesdünkel infrage gestellt und das alte Machtgefüge außer Kraft gesetzt - freilich alles unter dem Anstrich des Amüsements. Denn in gewisser Weise gilt es auch für Emmerich Kálmáns Operette, dass im schönen Schein Zuflucht gesucht wird vor einer deprimierenden, vollkommen aus dem Gleichgewicht geratenen Wirklichkeit, ohne sich das eingestehen zu können.

Bei seiner Uraufführung 1915 blickte das Stück bereits in eine unwiederbringlich verlorene Zeit zurück - "vor 1914", vor den Ersten Weltkrieg und den Zerfall der Monarchie. Gleichzeitig erzählt der Text eine Geschichte des Zerfalls. Von Kämpfen ist die Rede, von Endzeitstimmung und einer Welt, von der niemand weiß, wie lange sie sich noch dreht.

Der Gedanke von Peter Konwitschny, seine Dresdner Inszenierung aus dem Jahr 2000, die damals für einen handfesten Skandal samt gerichtlichem Nachspiel sorgte, mitten im Krieg anzusiedeln, ist deshalb nicht weit hergeholt. Während das Nachtlokal in der Ausstattung von Johannes Leiacker von Gewehrkugeln und Granaten erschüttert wird und die Handlung sich in Schützengräben verlagert, macht eine heruntergekommene Gesellschaft den blinden Versuch, weiter zu feiern.

Harmlosigkeiten statt Gräuel

Doch der Champagner, mit dem man sich betrinkt, ist längst ausgegangen. Es wird schon dadurch deutlich, dass die verzweifelte Personage sich hier die ganze heile Operettenwelt selbst vorspielen möchte. Und im Grunde nicht anders ist auch die Wirkung der Kriegsszenen, in denen das Treiben munter weitergeht und im Stil eines Broadway-Musicals mit einem breiten Lächeln zum Takt der Musik Vorrichtungen für die Kämpfe getroffen werden.

Das Ganze mit Leben - oder hier vielleicht besser: mit lebensnahem Sterben - zu erfüllen, misslingt Konwitschny trotz manchen virtuos mit Witz und Schock jonglierenden Elementen und einigen poetischen Momenten allerdings eklatant. Kaum wiederzuerkennen ist die Klaue des Regiemeisters. Stattdessen hat er sich Heil darin gesucht, die theatralischen Mittel der Operette zu überzeichnen, lässt die Darsteller hemmungslos outrieren und gekünstelte Gesten ausreizen, bis sie nur noch nerven. Und während er von der Musik getragene Szenen relativ stimmig abspult, laufen die Dialoge vollkommen aus dem Ruder, werden so bedeutungsschwer vortragen, als ginge es um Nathan oder Faust.

Somit gelang es an diesem auf drei Stunden ausgedehnten Abend allenfalls, die zermürbende Stimmung des Wartens auf die nächste Explosion heraufzubeschwören und auf das Auditorium zu übertragen. Falls es aber intendiert war, zwischen der bieder erzählten Geschichte und den Kampfhandlungen zu vermitteln, so scheiterte das kläglich - genauso wie die Gräuel umherfliegender Leichenteile oder ein Tanz von Verwundeten eher harmlos-lächerlich als aufrüttelnd wirkten.

Kein Wunder, dass auch die Musik kaum in Fluss kam, obwohl Tecwyn Evans das Orchester zu Transparenz und Feuer animierte. Die gute, aber in keinem Fall herausragende Besetzung tat zwar, oft aus akustisch unvorteilhafter Position, ihr Bestes: Ladislav Elgr als kräftiger Edwin, Sieglinde Feldhofer als quirlige Stasi, Martin Fournier als Heiterkeit vorschützender Boni und Éva Bátori als schwermütige Sylva. Doch an ihnen allen haftete ein Glaubwürdigkeitsproblem. Einzig Götz Zemann als Feri durfte einmal ungekünstelt Melancholie einbringen. Und für einen Moment schien es, als wäre diese Welt doch noch zu retten gewesen. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.1.2010)