Wien - Filmbilder erzeugen Raum, wo keiner ist. Zumindest hängt da vorne in Blickrichtung nichts als eine Leinwand, die das Licht reflektiert. Wer diese Wand im Kino durchbricht, landet an der Feuermauer; wer am Theater durch die Leinwand steigt, will in einen Film eindringen, um ihn mit allen bühnentechnischen Raffinessen inwändig zu betrachten.

So geschehen im Schauspielhaus: Weiße Papierbahnen hängen von der Decke, es läuft Der dritte Mann. Und bald schon überlagern sich die alten Zelluloidprojektionen mit Schattenrissen realer Schauspieler. Drei Zeitgenossen, die sich die Jünger Harry Limes nennen (Vincent Glander, Nicola Kirsch, Thiemo Strutzenberger), überwinden die Papierwand wie eine Membran zwischen zwei Medien. Als Partisanen dringen sie in den Bau (das kulturgeschichtliche Gebäude) eines Filmklassikers ein, der von der besetzten Stadt Wien anno 1949 ein düsteres Film-noir-Abbild zeichnete und nehmen dieses mit einiger Leidenschaft auseinander.

Autor Jörg Albrecht, eines jener jungen Talente aus dem mit dem Schauspielhaus kooperierenden uniT-Lehrgang "Szenisches Schreiben", unterzieht in Harry Lime lebt! Und das in diesem Licht! den Dritten Mann einer theatralischen, schattenreichen Relektüre, ein paar teuflische Remake-Ideen inklusive. Einerseits geht es darin um theoretische Überlegungen zur Filmrezeption wie das unkontrollierte Ineinandergreifen von Fiktion, Geschichte und Gedächtnis, vor allem auch um das im Film konstruierte zwielichtige Wien-Bild, das den Vorstellungen der Fremdenverkehrswerbung nicht entsprach. Zugleich aber ist Harry Lime lebt! eine polternde Hommage an das Kino, genauer: das Heimat-Kino, das sich einmal an der Schauspielhaus-Adresse befand und das sogar Schauplatz einer Szene im Film ist.

Jan-Christoph Gockels Uraufführungsinzenierung macht aus dem Trash-Stück eine Trash-Inszenierung, in der Zither-Spieler Anton Karas (Matthias Schweiger) einen lebensgefährlichen Ehrenplatz einnimmt. Wichtige Filmszenen werden im Memory-Spiel rekapituliert, lebensgroße Stoffpuppen, die zuvor den Vitrinen des Dritte-Mann-Museums entwendet wurden, bringen das hollywoodeske Posing von Produzent, Drehbuchautor und Schauspielstar auf den Punkt. Witzig!

Zu den obligaten Bühnenlösungen zählt auch das Abtauchen in die Unterbühne, will heißen ins Kanalsystem - und damit in eine in düsteren, uneindeutigen (Kamera-)Bildern gefasste Welt. Damit schließt sich der Kreis zum Film. Harry Lime lebt! ist ein wechselvoller, leichter, verspielter Abend, der dort interessant wird, wo das (historische) Erzählen seine Sinnbildung hinterfragt. (Margarete Affenzeller/DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2010)