Das Justizministerium hat also, wie es Medien formulieren, ein "Machtwort" im Totschlagsurteil gesprochen, dem Urteil etwas "entgegengesetzt".(derStandard.at berichtete) Während sich SPÖ und Grüne aus inhaltlichen Gründen über den Erlass des Justizministeriums erfreut zeigen, kommt von Juristenseite auch Kritik. Die grundlegende Frage stellt sich: Ist ein solcher Erlass an die in der Justiz Tätigen eine unzulässige Einmischung in die freie Rechtssprechung? Oder, wie das Ministerium gegenüber derStandard.at betont, nur eine Art unverbindlicher Wegweiser, der die geltende Rechtslage besser erläutern soll?

"Die Art und Weise der Verkündigung finde ich bedenklich"

Klar dürfte sein, dass ein Erlass der Justizministerin eine klare Wirkung auf die österreichischen Gerichte haben wird - egal ob aus Gehorsam gegenüber dem Ministerium oder aus eigener Überzeugung. "Die Art und Weise der Verkündigung finde ich bedenklich", so etwa Helmut Fuchs, Vorstand des Instituts für Strafrecht der Universität Wien, im Gespräch mit derStandard.at. Rein rechtlich sei der Erlass zwar kein Problem. Die (weisungsgebundene) Staatsanwälte seien zwar daran gebunden, die (weisungfreien) Richter aber ohnehin nicht. Aber die prinzipielle Art, auf ein Urteil mittels Erlass zu reagieren, findet Fuchs "schon sehr stark an der Grenze der Einflussnahme. Und das gefällt mir gar nicht".

Fragwürdig findet Fuchs auch, dass der Erlass sich auf ein Urteil beruft, das "wir eigentlich alle nicht genau kennen". Es würden, so der Strafrechtsexperte, viele Gerüchte kursieren, aber das Urteil gebe es nicht in schriftlicher Ausfertigung. Die richterliche Beweiswürdigung zu kritisieren, ohne einen schriftlichen Beleg dafür zu haben, sei problematisch, so Fuchs. Nach Informationen, die er eingeholt habe, habe das Gericht die Totschlags-Anklage gar nicht vorrangig mit der "Ausländereigenschaft" des Täters begründet, diese sei nur am Rande erwähnt worden.

"Wir lassen uns weder bevormunden noch beeindrucken"

Der Präsident der Richtervereinigung Werner Zinkl erklärt gegenüber derStandard.at, dass Erlässe dieser Form durchaus üblich seien, oft, um unklare Formulierungen in neuen Gesetzen zu erläutern.. Allerdings: "Den gewählten Zeitpunkt halte ich für einen sehr unglücklichen", so der Jurist. "Dass man in dem Moment, in dem die Frauenministerin nach einem Erlass schreit, diesen auch liefert, ist nicht ideal". Also eine Art Anlassgesetzgebung? "Ich will das dem Justizministerium nicht unterstellen, aber der Eindruck kann schon entstehen".

Prinzipiell fühlt sich Zinkl in seiner Unabhängigkeit aber durch den Erlass nicht angegriffen, die Arbeit der Justiz gehe ebenso weiter wie bisher. "Wir lassen uns weder bevormunden noch beeindrucken".

Geschworene entscheiden oft nach Sympathie

Hinter der Anklage steckt, vermutet ein österreichischer Richter im Gespräch mit derStandard.at, eigentlich ein ganz anderes Problem: "Wer sich darauf einlässt, ein Geschworenenurteil jedenfalls akzeptieren zu müssen, indem er eine Mordanklage zulässt, spielt immer ein gefährliches Spiel. Es ist kein Geheimnis, dass die Justiz großteils keine Freude hat, wenn ein Geschworenengericht zuständig ist". Und das sei bei einer Mordanklage eben der Fall. Wenn der Angeklagte es schaffe,  bei den Geschworenen ausreichend Sympathie zu erwecken, dann gebe es ein mildes Urteil; wenn das nicht gelingt, ein hartes - "Rechtliche Einordnungen spielen für die Laien selten eine Rolle".

Die Geschworenen seien "absolut unvorhersehbar", bestätigt auch Strafrechtsexperte Fuchs. Wenn diese - aus welchem Grund auch immer - bei einer Mordanklage keinen Tötungsvorsatz erkennen können oder wollen, dann sei möglicherweise "nur" eine Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung die Folge. Die ist aber auch nur mit fünf Jahren Höchststrafe bedroht, der Täter wäre im vorliegenden Fall also möglicherweise bei einer Mordanklage mit noch weniger als den jetzt für den Totschlag gegebenen sechs Jahren davongekommen.

Ausweg aus der Geschworenengerichtsbarkeit

Die ganze umstrittene Wahl der Totschlagsanklage anstelle der Mordanklage als eine Art juristischer Ausweg also, um die Geschworenengerichtsbarkeit zu umgehen? "Das ist sehr wahrscheinlich", bestätigt Fuchs. "Und ich schätze auch, dass das in ähnlichen Fällen öfter so gehandhabt wird".
Der Erlass gehe damit jedenfalls an der entscheidenden Problematik vorbei. "Der Zusammenhang mit der ausländischen Herkunft des Täters ist aufgebauscht", so Fuchs. "Wir brauchen in Wahrheit dringend eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit, das muss man jetzt unbedingt angehen". (Anita Zielina, derStandard.at, 27.1.2009)