Mit gutem Schuhwerk folgt sie den Lockrufen des World Wide Web: Sibylle Berg, Schriftstellerin, Internet-Junkie.

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Foto: Katharina Lütscher

"Nur Nachts" feiert am Akademietheater seine Uraufführung. Margarete Affenzeller fragte nach.

Standard: In "Nur Nachts" wird ein Paar von extrem fiesen Geistern schikaniert. Aber alles wird gut. Sie schüren mit Gewalt das Gute?

Berg: Es ist zumindest der kleine alberne Versuch, weil das ganze Leben geht ja nicht besonders gut aus. Deshalb schreibe ich fürs Theater: Rosen sollen von der Decke hängen und kleine Häschen, dann Happyends, so ist es gut.

Standard: "Nur Nachts" scheint keine Karikatur von Glück zu sein.

Berg: Gell? So geht's schon, mit dem Glück. Zumindest für ein Weilchen, bis zur Leberzirrhose ...

Standard: Haben Sie Interesse am glücklichen Leben anderer?

Berg: Ich gebe zu, dass ich eitel genug bin, um mich zu freuen, wenn ich etwas auslöse, wenn sich etwas bewegt. Wenn also Leute mit Fragen zu mir kommen oder mir schreiben: "Ich bin bei meinem Mann geblieben!" – da merke ich schon, welchen Einfluss man so hat, was ich zum einen gar nicht möchte. Denn was gehen mich die anderen Leute an? Aber wenn man die kleinen Verschiebungen bemerkt, da kriegt man schon kurz einen Ständer.

Standard: Ihre Fanpost ist Kult. Was macht die Leserschaft?

Berg: Sie ändert sich kaum. Aber bei den letzten Lesungen waren auf einmal so viele ganz normale Männer, Tiefbauingenieure. Und ich war erstaunt. Dass mich Schwule und Lesben mögen, weiß ich. Aber Tiefbauingenieure? Sind die aufs retouchierte Foto reingefallen? Kann ja sein. Die ganz jungen Leser sind aber geblieben. Ich werd ja nicht älter, das kann's ja nicht sein. Also es gibt kein geschlossenes Bild mehr, wie es nach dem ersten Buch noch war; da waren es Freaks, Punks. Jetzt sind auch die Heiratsanträge weniger geworden. Scheiße.

Standard: Warum evoziert Ihre Literatur so persönliche Reaktionen?

Berg: Weil ich so niedlich bin. Bei den früheren Büchern war es schon so, dass sich viele Menschen nicht mehr so allein gefühlt haben. Die haben dann gesehen, aha, ich bin vielleicht gar nicht krank, und ich bin vielleicht gar nicht allein. Und das hat einen Kuschelreflex ausgelöst. Das finde ich nicht schlimm. Das sind ja alles nette kleine Menschen.

Standard: Was machen Sie mit all den Anfragen?

Berg: Na ja, ich berate die. Die muss man ja ernst nehmen. Das ist nicht unangenehm. Die sind auch auf Lesungen nicht anhänglich. Gar nicht. Sehr nette Menschen.

Standard: Wie haben Sie das Schreiber-Handwerk gelernt?

Berg: Das war pure Trainingssache. Es gibt ja noch immer keine richtigen Ausbildungsstätten! Schreiben ist Handwerk, basta. Die Vorstellung, eine hehre Aura der Intuition genüge, regt mich echt auf. Warum ausgerechnet das Schreiben ohne Handwerk funktionieren soll, ist mir schleierhaft. Das diskreditiert den Beruf.

Standard: Wie soll Schreiben also gelehrt werden?

Berg: Das sollte Bestandteil einer Uni-Ausbildung sein. In der bildenden Kunst geht gar nichts ohne Uni-Studium, da ist das Gerücht vom Genie schon lange vorbei, nur beim Schreiben hält sich dieser Spitzweg-Käse noch immer! Jedem sei es vergönnt, an seiner Umwelt zu leiden, aber Wert hat das nur gut geschrieben.

Standard: Wie entstand Ihr Kontakt zum Theater? Ihre Texte waren ja nicht dafür gedacht.

Berg: Ich habe meine Initialzündungen mit René Pollesch und Alain Platel erlebt. Das war toll, so etwas wollte ich sehen. Dann habe ich das Theater zum Geldverdienen gewählt, sagen wir, wie's ist. Weil Taxifahren kann ich nicht.

Standard: Gibt es Verbindungslinien zwischen Ihren Kolumnen und den anderen literarischen Formen?

Berg: Nein. Gar keine. Ich schreibe auch kaum noch Kolumnen. Das Theater hat mich da herausgerettet. Ich konnte die blöden Zeitschriften nicht mehr ertragen. Es hat sich nämlich sehr verschlechtert. Die stecken alle in der selbstverschuldeten Finanznot.

Standard: Selbstverschuldet?

Berg: Das Elend der Printmedien hat mit verknöcherten Machtstrukturen zu tun. Alle wissen, dass man als Reaktion auf das Internet tiefgründiger statt seichter werden müsste. Und das Gegenteil passiert. Ich weiß nicht, wie's hier ist, aber in Deutschland hocken haufenweise unfähige, überbezahlte Chefredakteure herum. Die Leute würden gerne Zeitung lesen, wenn da etwas anderes geboten würde als im Internet oder Fernsehen.

Standard: Sie haben aber jüngst in der "Zeit" eine Kolumne zum Thema der Deutschen-Invasion in der Schweiz geschrieben. Sie leben in Zürich, sind selbst also betroffen.

Berg: Was in der Schweiz gerade passiert, ist der Einfall des Kapitalismus. Darauf war das kleine Land nicht vorbereitet. Bisher hatten die Schweizer eine intelligent versteckte Art des Kapitalismus, alles lief langsam und geordnet ab. Die Geldmassen wurden im Hintergrund verschoben. Jetzt passiert das, was in allen großen Städten passiert: Die Mieten werden entrümpelt, Stadtteile werden abgerissen. Die Schweizer meinen, es sei die deutsche Zuwanderung, aber es ist der Kapitalismus, und sie haben ihn gewählt.

Standard: Sie sind ein Internet-Junkie. Was bedeutet für Sie die virtuelle Kommunikation?

Berg: Es ist der Versuch, nicht vollkommen den Kontakt zur nächsten Generation zu verlieren. Was freilich erbärmlich ist, weil man so weit entfernt ist. Kinder sind heute mit sieben Jahren schon online. Das, was andere bejammern, diese Informationsflut, das finde ich großartig. Es ist Quatsch zu sagen, das ist nur virtuell. Die treffen einander doch. Nein, also ich will es wissen. Ich will kein Nokia-Handy benützen müssen, das ist doch schrecklich.

Standard: Sie schwören also aufs iPhone und wollen wohl auch ein iPad haben?

Berg: Ja, dann bin ich der iProll. Mit dem iPad soll ja der Bookreader vernichtet werden. Sie werden damit zum Teil auch den Buchmarkt vernichten. Ich will also wissen, woran ich sterbe. Die Idee, ein Format zu haben, auf das man sich seine Krimis runterladen kann, gefällt mir. Es ist ja völlig wurscht. Man kann es nicht aufhalten, das versuch ich mir zu sagen. Die Leute haben ja auch geschrien, als das Telefon kam. Da muss man sich daran gewöhnen.

(DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.02.2010)