Ich gestehe, ich bin verführt worden: von einer Geschichte über den "literarischen Kugelblitz", der ein "heftiges Romandebüt Axolotl Roadkill" hingelegt hat. Bereits groß angekündigt wurde dann für die Folgewoche ein Porträt im Magazin mit Fotostrecke, sodass man sich auch ein Bild vom "Wunderkind" machen konnte. All das wirkte überzeugend: eine 17-Jährige als neuer Shootingstar der deutschen Literaturszene, das neueste deutsche Fräuleinwunder.

Auf meine Bitte hin schrieb unser Berliner Kollege Bert Rebhandl eine Geschichte über Helene Hegemann, wir haben jene Passage aus dem Magazin-Bericht, in dem sie über ihre Wien-Erfahrungen berichtet, zitiert. Ein paar Tage nach dem im Standard erschienenen Porträt wurde bekannt, dass das literarische Wunderkind Teile seines Buches von einem Blogger namens Airen abgeschrieben hat.

Darauf teilte sich das publizistische Lager: in diejenigen, die Hegemann trotz allem weiter als literarisches Ausnahmetalent feierten, und die anderen, die Lobeshymnen auf die Intertextualität veröffentlichten. Seither liefert sich das deutsche Feuilleton einen Schlagabtausch.

Am tollsten treibt es die Zeit - und das aus gutem Grund. Das früher nicht zur Aufgeregtheit neigende Bildungsbürgerblatt hat nicht nur bei mir Interesse, sondern einen regelrechten Hegemann-Hype ausgelöst. Die Hymnen in der normalerweise nicht als überschwänglich bekannten Wochenzeitung machten jedoch neugierig. Also, wenn sogar die Zeit derart positiv schreibt, dann muss ja etwas dran sein.

Es gibt Passagen im Roman, die mitreißen, die sprachlich spannend, anders sind. Auf jeden Fall besser als Charlotte Roches Feuchtgebiete.

Durch ihre Reaktion auf die massiven Plagiatsvorwürfe, die weniger vom Blogger Airen kamen, beschädigte sich jedoch Hegemann - oder vielmehr ihre Berater und der Ullstein-Verlag. Denn auch der Generation Web 2.0 steht nicht zu, einfach abzuschreiben. Mindestens genauso beschädigt sich die Zeit. Fast das ganze vorwöchige Feuilleton wurde der (Selbst-)Verteidigung gewidmet.

Am weitesten holte Iris Radisch aus, die wegen ihres Engagements beim Ingeborg-Bachmann-Preis auch hierzulande bekannte Literaturkritikerin. Sie machte Hegemann zum Opfer einer Männerwelt. "Hegemanns wichtigstes Vergehen besteht nämlich nicht darin, dass sie ihre Quellen verschwiegen und das Vokabular der Drastik manchmal ein wenig zu kokett eingesetzt hat", hebt sie an. "Das würde für einen patriarchalischen Radau wie den stattgehabten kaum ausreichen. Ihr Vergehen besteht vielmehr darin, das Chaos und die Bedenkenlosigkeit einer noch nicht hierarchisierten, noch nicht durch Männerkartelle kontrollierten Medienkultur in den Machtbereich der alten literarischen Leitkultur überführt und dabei einen ziemlichen Auffahrunfall provoziert zu haben."

Das ist nicht nur ziemlich dick aufgetragen, sondern damit schreibt man einer jungen Frau eine Intention zu, die eine 17-Jährige gar nicht gehabt haben kann. Damit nicht genug: Zwei Seiten weiter wird Hegemanns Porträt umkreist von Elfriede Jelinek, Bertolt Brecht, Thomas Mann und Paul Celan. Dazu die Information: "Hegemann schrieb nicht ab, sondern verfasste einen Montagetext, und sie hat berühmte Vorgänger."

Die Neue Zürcher Zeitung bringt offenbar aus der Distanz die nötige Gelassenheit auf, um Erklärungen für die derart aufgeheizte Debatte zu liefern: "Selten hat sich der Literaturbetrieb bereits im Vorfeld eines Buchereignisses derart exponiert wie in der Causa Hegemann." Und weil es nun um die ökonomische Basis des Literaturbetriebs gehe, scheue man sich davor, die Sache beim konkreten Namen zu nennen: "Kein Intertext, keine Materialästhetik - Plagiat. Was denn sonst." (Alexandra Föderl-Schmid, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 27./28.02.2010)