Berufsschule Hütteldorferstraße, 15. Wiener Gemeindebezirk: Rund zwei Drittel der Lehrlinge für den Beruf Maler und Anstreicher haben Migrationshintergrund. Sprachprobleme gebe es aber kaum: "Die SchülerInnen sind zum Großteil hier geboren", sagt Direktor Franz Gmeiner.

Foto: Maria Kapeller

Mirza hat die HTL abgebrochen, um eine Lehre als Maler zu beginnen: "Später will ich einen eigenen Betrieb gründen."

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Nina und Paul haben ihr Studium aufgegeben und machen eine Buchhändler-Lehre. Paul: "Uni und ich - das funktioniert nicht, ich brauche eine Struktur, einen Rahmen."

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Mirza mag die Farbe Grün - zumindest hat er sie heute ausgesucht, um ein Muster an die Übungswand zu malen. Die Farben mischen, gerade Linien vorzeichnen, beim Malen nicht hinauspatzen: Der 18-jährige gebürtige Bosnier macht in Wien eine Lehre zum Maler und Anstreicher. Vor ein paar Jahren noch saß er in einer HTL. "Das hat mich aber nicht interessiert, ich habe aufgehört weil ich immer schon etwas mit Design und Farbe zu tun haben wollte." Die Berufsschule falle ihm nicht all zu schwer. "Ich habe fast nur Einser", sagt er nicht ohne Stolz.

Zwei Drittel haben Migrationshintergrund

Ein Besuch im Zentralberufsschulgebäude in der Hütteldorfer Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk. In dem grauen Gebäude mit großem Innenhof sind vier Ausbildungsstätten gebündelt. In der Schule für Maler und Kunstgewerbe werden 545 Jugendliche unterrichtet, rund zwei Drittel davon haben Migrationshindergrund. "Die SchülerInnen sind aber zum Großteil hier geboren, 90 Prozent haben ausreichende Deutschkenntnisse", erklärt Direktor Franz Gmeiner. Probleme entstünden vielmehr aufgrund der unterschiedlichen Mentalitäten. Es komme zum Beispiel vor, dass Burschen aus Migrantenfamilien Probleme damit hätten, von weiblichen Lehrkräften unterrichtet zu werden.

Höhere Schulen abgebrochen

Der 19-jährige Erkan hat türkische Wurzeln und etwas mit Mirza gemeinsam: Auch er hat es vorher anderswo versucht. Die Lehre zum Elektriker sei aber "langweilig" gewesen. "Maler ist dagegen ein super Job, ich arbeite gerne mit Farben." Die beiden Burschen stehen nicht alleine da. In allen vier Schulen kommen insgesamt nur rund 20 Prozent der SchülerInnen direkt aus der Hauptschule, etwa gleich so viele aus dem Polytechnikum. Nicht Wenige versuchen es vorher mit einer anderen Lehre oder einer Höheren Schule, scheitern damit und landen am Ende hier; oftmals in der Malerausbildung.

Kein positiver Pflichtschulabschluss

Rund ein Drittel der SchülerInnen hat keinen positiven Pfichtschulabschluss. "Wir sind ein selektiver Haufen, zu uns kommen jene Jugendlichen, die es schon woanders probiert haben und negativ motiviert sind", bringt es Lehrer Erwin Haspel auf den Punkt. Für viele Lehrlinge sei Maler nicht der Beruf ihrer Wahl. "Ich frage oft in die Klasse: Wer von euch wollte wirklich Maler werden? Von 30 SchülerInnen zeigen nur drei bis vier auf." Auch Direktor Franz Gmeiner weiß: "Wir sind eine Auffangstelle für diejenigen, die schwer einen Zugang zu einem anderen Beruf haben."

"Falsches Image" von Berufen

Berufsschulinspektor Robert Rohr führt durch die langen Gänge. Es ist ruhig, in den Klassen und Lehrwerkstätten wird unterrichtet. Ist das Bildungsniveau der Lehrlinge heute wirklich so niedrig, wie von Seiten der Wirtschaft immer wieder behauptet? Nicht das Niveau an sich sei gesunken, die Bedingungen hätten sich verändert. "Früher waren rund 15 Prozent aller Beschäftigten ungelernte Kräfte, heute sind es nur mehr zwei Prozent", erklärt Rohr. Anders ausgedrückt: Wer früher als Hilfsarbeiter seine Brötchen verdienen musste, versucht es heute mit einer Lehre. "Weil es kaum mehr Jobs für ungelernte Kräfte gibt", sagt Rohr. Hinzu kämen die gesellschaftlichen Veränderungen: "Der Schule werden immer mehr Aufgaben übertragen, die früher von der Familie wahrgenommen wurden. Von Gewaltprävention bis zur Sexualerziehung wird alles in die Schulen geschoben - da bleibt weniger Zeit für die Vermittlung der Kernkompetenzen." Problematisch sei auch das "falsche Image" vieler Berufe: "Jugendliche wählen heute den Beruf häufig nach dem Image", so Rohr. Oft entspreche dieses aber nicht den tatsächlichen Tätigkeiten. Gerade in Gymnasien und berufsbildenden Schulen, deren Schulabbrecher ein Viertel der Wiener BerufschülerInnen ausmachen, gebe es kaum eine Berufsorientierung.

Erst Matura, dann Lehre

In der Schule für Handel und Reisen sieht die Situation anders aus als bei den Malern. Hier werden rund 1.400 Schüler unterrichtet, die Berufe reichen von DrogistIn über Einzelhandeskaufmann/-frau bis zu ReisebüroassistentIn und BuchhändlerIn. Viele der SchülerInnen haben maturiert, später entweder keinen Job gefunden, einen Aufnahmetest nicht geschafft oder das Studium abgebrochen. Sie machen eine von drei auf zwei Jahren verkürzte Lehre. "Von den Buchhändler-Lehrlingen haben knapp die Hälfte die Matura", sagt Direktor Heinrich Vittori.

"Uni und ich - das funktioniert nicht"

So auch die 22-jährige Nina: Nach dem Gymnasium begann sie zu studieren, machte zwischendurch ein Praktikum, versuchte es mit einem anderen Studium. "Dann habe ich gemerkt: Das liegt nicht an den Studien sondern an mir. Ich finde es angenehmer zu arbeiten, ich brauche ein vorgegebenens System, in dem Praxis und Theorie vermischt werden." Ein zufällig entdecktes Zeitungsinserat einer Buchhandlung brachte sie auf die Idee, es dort mit einer Lehre zu versuchen. Auch bei Paul war es ähnlich: Der 24-Jährige studierte zwei Jahre lang Publizistik - bis ihm bewusst wurde, dass ihm das Studium "zu wenig Handfestes" bot. „Uni und ich - das funktioniert nicht, ich brauche eine Struktur, einen Rahmen." So wurde aus seinem Studentenjob in einer Buchhandlung eine Lehrstelle.

Schule als Rettungsanker

Zurück zu den Malern: Berufsschullehrer Gerhard Schinner unterrichtet seit mehr als 23 Jahren Fächer wie Rechnungswesen, Wirtschaftskunde und Politische Bildung. "Mir fällt auf, dass die Schüler durch Außeneinflüsse wie Internet oder Handy schon sehr abgelenkt sind", sagt er. Auch die mangelnde Kommunikation mit den Eltern trage dazu bei, dass die SchülerInnen teils an einfachen Aufgaben scheitern würden. Mitgebrachte Sprachdefizite könne man, trotz Unterstützung von Zweitlehrern, hier nicht mehr ausgleichen. Zu einem gewissen Grad sieht sich Schinner auch als Sozialarbeiter: Rund 20 Prozent der SchülerInnen brechen die Pflichtschule ab und lassen die Zeit verstreifen - bis sie eine Lehrstelle finden oder in ein AMS-Programm aufgenommen werden. "Die Berufsschule ist wichtig, um nicht auf die schiefe Bahn zu kommen, weil sie eine Struktur schafft." 

Unterschiedliche Pläne

Malerlehrling Mirza will jedenfalls die Meisterprüfung machen und später einen eigenen Betrieb gründen. Erkan träumt schon wieder von anderen Jobs: Feuerwehrmann oder U-Bahn-Fahrer. Die angehenden Buchhändler Nina und Paul wollen in der Buchbranche bleiben, vielleicht aber "nicht ewig im Verkauf arbeiten". (Maria Kapeller, derStandard.at, 18.3.2010)