Zusammengedrängt und doch allein. Beat Furrers neue Oper "Wüsten-buch" (u. a. mit Texten von Ingeborg Bachmann und Händl Klaus), von Marthaler kongenial umgesetzt.

Foto:'Wüstenbuch' Theater Basel, Judith Schlosser

Suchende sind die Bühnenfiguren von Beat Furrer alle: Das war schon bei den Blinden so, wo die dem Maeterlinck'schen Drama entsprungenen Menschen umherirrten; das war auch so bei Narcissus, in der Orpheus-Saga Begehren und zuletzt im Hörtheater Fama, wo sich die Protagonistin aus Schnitzlers Fräulein Else in einer riesigen, nach allen Seiten hin offenen Box wiederfand.

Auch in Furrers neuestem Musiktheaterwerk Wüstenbuch, das am Montag am Theater Basel uraufgeführt wurde, gibt es solche verirrten Gestalten. Sie sind auf der Suche nach Identität, nach Möglichkeiten, sich auszudrücken und - Generalthema Neuer Musik - eine Kommunikationsbasis aufzubauen, und zwar sowohl zueinander als auch zum Hörer.

Voller Rätsel ist schon die Textsammlung, die dem Projekt zugrunde liegt: In ihrem Zentrum steht ein vom Ägyptologen Jan Assmann übersetztes Papyrus-fragment; rundum sind Ausschnitte aus Ingeborg Bachmanns Wüstenbuch-Text, versponnene Neudichtungen von Händl Klaus, spanische Lyrik und lateinische Philosophica gruppiert - ein dichtes Gewebe rund um Wüste, Einsamkeit und Selbsterkenntnis.

Im alten Ägypten standen die Sphinxe an der Grenze zwischen Fruchtland und Wüste; eine ihre Aufgaben soll es gewesen sein, zu verhindern, dass der heiße Sand die Felder verschmutzt. Würde Furrers Stück tatsächlich in Ägypten spielen, dann wäre es umgekehrt: Man befände sich direkt im Brachland, in das hin und wieder Botschaften aus einer besseren Welt wehen. Die Musik ist nach außen kahl und reduziert, zuweilen von unerbittlicher Härte und aggressiver Soghaftigkeit.

Insofern hat sich mit Regisseur Christoph Marthaler ein geistesverwandter Partner gefunden. Der Schauplatz im Musicaltheater neben der Basler Messe ist ein typisch Marthaler'scher Unort von morbider Schäbigkeit (Bühne: Duri Bischoff), den es so ähnlich auch draußen geben könnte: Drei Hotelzimmer, darunter ein ungemütlicher Keller, geben den engen Kosmos ab, durch den Schauspieler und Sänger schleichen.

Gesangs- und Sprechstimme stehen einander gleichberechtigt, oftmals aber auch fremd gegenüber: Wenn Ueli Jäggi seine Erinnerungsfetzen rezitiert, dann umhüllt dies zwar das traumwandlerisch feinsinnige Klangforum Wien, das, unter der Leitung des Komponisten, kostümiert auf der Bühne sitzt, Text und Musik bleiben sich aber fremd. Marthaler setzt Irritationen mit Einsätzen, die nicht in der Partitur stehen; wer loszuplappern beginnt, wird von den anderen zum Schweigen gebracht. Monologe wie Aktionen gehen ins Leere. Wenn es in Furrers Musik einmal kurz aufleuchtet, lassen die Darsteller Kameras blitzen - doch sie stehen dabei an der Wand.

Nahe an totaler Auflösung

Marthaler zeigt also wieder seine große Kunst, Menschen als vereinsamt und allein darzustellen und zugleich ihre Sehnsucht nach dem Anderen fühlbar zu machen. Einmal vereinigen sich die Figuren zu einem steifen Tanz, dann formieren sie sich zur Menschentraube, die sich wie ein seltsames Wesen durch den Raum bewegt.

Geschickt eingebunden ist auch der Chor, der gigantische Aufgaben zu meistern hat. Da verwundert es nicht, dass die Solistes XXI eine Szene aus Partitürchen ablesen. Marthaler interpretiert diese Passage wie eine Messe - er hat auch da genau hingehört. Hier erklingen Fetzen aus traditioneller Sakralmusik, als gälte es, die Erinnerung an eine verlorene Kultur zu retten.

Dies alles ist so poetisch wie assoziativ; auf eine verbindende Dramaturgie verzichten Szene und Musik. Beide bewegen sich auf dem schmalen Grat zur totalen Auflösung. Zwischen den Regressen der Partitur, die mehrmals frühere Stationen wiederholt, und statischen Passagen bleiben fremdartige Inseln in Erinnerung: Jene Szenen, die die Sängerinnen Hélène Fauchère und Tora Augestad mit langgezogenen Linien und Seufzern gestalten, gehören dazu: Musik an der Grenze zum unerträglich Schönen. (Daniel Ender aus Basel, DER STANDARD/Printausgabe 18.3.2010)