Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/Perez
Foto: STANDARD/Newald

Vor genau zehn Jahren, am 23. März 2000, erstaunte ein österreichischer Kanzler europaweit die Weltöffentlichkeit, weil er mit einer Krawatte auf dem EU-Gipfel in Lissabon auftauchte. Niemand hatte dem jahrzehntelangen Mascherl-Träger Wolfgang Schüssel den feinen Humor zugetraut, die Sanktionen der damaligen EU-14 gegen die schwarz-blaue Bundesregierung mit einer eng zugezogenen Schlinge um seinen Hals so spielerisch zu zitieren. 

Wie lange Schüssel damals zum Binden der Krawatte brauchte, ist nicht überliefert. Möglicherweise legt er dies in seinem Buch detailreich offen, aber dazu müsste man dieses ja lesen. Auch wissen wir nicht, ob ihm dabei gar jemand zur Hand ging - etwa weil er vor Nervosität zitterte und den etwas herausfordernden Sankt-Andreas- nicht mehr vom einfachen Four-in-Hand-Knoten unterscheiden konnte. Dass Schüssel aber jedenfalls seine ganze Phantasie in die Farbfindung - schillerndes Graublau - gesteckt hat, darf vorausgesetzt werden.

Schüssel reagierte damals darauf, dass nicht nur in Wiener Demonstranten-, sondern auch in Brüsseler Eurokraten-Kreisen das durchgestrichene schwarz-blaue Mascherl vermehrt beobachtet werden konnte. Aber war es ein gescheiter Schachzug? Vollzog der Kanzler vor zehn Jahren womöglich das genaue Gegenteil der heute so inflationär auftretenden halbherzigen Distanzierungen - nämlich die vollkommene Anbiederung?

Sehen wir uns kurz die Alternativen an, die Schüssel hatte. 1.) Hemd offen. - Ging gar nicht, weil es als völlig tadel-lose Abkupferung des bevorzugten Stils von Jörg Haider gesehen worden wäre und Schüssel obendrein gar nicht wusste, ob sich nicht unschöne Wendefalten auf seinem Hals abzeichnen würden. 2.) Ohne Hemd. - Ging auch nicht, denn es war zwar Portugal, aber es war auch März. 3.) Ohne Hose. - Keine Chance, das wäre bloß als schrulliger, überzeichneter Alois-Mock-Gedenkauftritt rasch schubladisiert worden. 4.) Mit Schal. - Hätte selbst neben Joschka Fischer und Tony Blair etwas zu dandyhaft gewirkt und wäre angesichts des so gar nicht Gönnerhaften, das Schüssels spätere Amtsführung kennzeichnen sollte, neuerlich von seinen Gegnern aufgegriffen worden.

Schüssel hat sich also mit der Krawatte für die beste Lösung entschieden. Oder vielmehr: für die beste aller unehrlichen Varianten. Die ehrliche wäre gewesen, die spätere schwarz-blaue Politik (Abverkauf der Staatsbetriebe; Umverteilung von unten nach oben; ein Finanzminister, der sich von der Industrie eine Homepage spendieren lässt; usw. usf.) offen anzukündigen - und das Preispickerl dran zu lassen.

Mehr als acht Jahre dauerte es dann jedenfalls, bis mit Werner Faymann wieder ein österreichischer Kanzler mit einer Krawatte für Aufsehen sorgte - indem er mit deren Begräbnis-Version auf Wahlplakaten das Kunststück vollbrachte, das Partei-Programm einer ganzen Legislaturperiode erschöpfend zu umreißen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 23.3.2010)