Die Vision eines jedem Diktat ausgelieferten "Spielzeuglandes".


Ich zerreiße das Bilderbuch der Zeit, und alle schauen sie uns mit ihren Bambiaugen an, der Obstverkäufer, der Bauer mit seiner Schrotflinte, das Spielzeugvolk, mit dem sein Herrscher so lang gespielt hat, bis es sich selbst nicht mehr erkannt hat. Alles große feuchte Tieraugen, die mich anschauen. Alles flinke Tierbeine, die den Leidensweg der Geschichte entlang staksen mit ihren ungeübten Kinderbeinen. Greis, Baby, Kleinkind, Schwangere. Alles eins. Ein Spielzeugland wird zu einem andren Spielzeugland gemacht. Die Menschen als Spielzeug gehen von einer Hand in die andre.

Wir machen hier ein schönes Land daraus, wir wecken sein Wesen erst auf und warten geduldig, bis es wieder aufersteht. Wie ich es vorgemacht habe. So lang ist es am Boden gelegen, das Volk. Wir wollen, dass dem Land seine Unschuld wieder aus den Augen herausschaut. Das wollen wir erreichen.

Da haben sie, zur Aufmunterung, zum Vertrauenerwecken, als Pflicht, die eigenen Leute zu schützen, diese ganzen Streubomben geschmissen. Also ich empfinde deren Auftreten als taktlos, verstehe aber, warum sie es gemacht haben. Sie haben viele umgebracht, Obsthändler, Zeitungsverkäufer, Hirten, Gehütete, Unbehütete, ganze Familien, ob vollständig oder nicht, egal, aber sie haben das zu Recht gemacht, sie haben das gemacht, um ihre eigenen Truppen zu schützen und ihre Verluste möglichst gering zu halten. So klug sind diese Bomben, das können Sie sich gar nicht vorstellen.

Da haben wir zum Beispiel die intellektuelle Bombe Modell GBU-28, Bunkerknacker, Gesamtgewicht: 2500 kg, davon 2200 kg Wuchtkörper und 300 kg Hochbrisanz-Sprengstoff (Tritonal). Maße: Länge 3,88 m, Durchmesser 37 cm. Der Preis: $ 145.600 – bei Mindestabnahme von 125 Stück. Geeignete Trägersysteme: Kampfbomber F-15 E und F-111 F.

Ich spreche jetzt zu Ihnen als Ihr Herr. Hören Sie mir zu! Mit dieser bunkerbrechenden Bombe nehme ich mir die persönliche Freiheit, den selbsternannten Herrn dieses Volkes aus seiner Schale herauszulösen wie eine Nuss. Der Herr wird jetzt zur Rechenschaft gebeten, ich habe meinen Rechenstift schon gezückt und rechne ihm seine entsetzlichen Verbrechen und Verfehlungen vor. Ich zähle alles zusammen und mache dann durch seine Rechnung einen dicken Strich, unter seine Harmlosigkeiten, mit denen er die Welt belogen hat, einen Strich mache ich ihm durch sein quasi göttliches Gefüge. Der Herrscher wird vom Herrscher durchgestrichen. Und dieser Zweck rechtfertigt jedes Mittel.

Und dann mache ich einen Vergnügungspark daraus, in dem ein jeder glücklich sein wird, das verspreche ich, wer könnte es denn sonst versprechen? Ich beende etwas, das keinen Bestand gehabt hätte, und ich führe etwas herbei, das auch keinen Bestand haben wird. Jeder wird glücklich sein, und vor allem werden die Armen, die Kranken, die Verwundeten, die Getöteten glücklich sein. Jetzt sind sie noch nicht glücklich. Aber wenn wir fertig sind, werden alle glücklich sein.(...)

Schauen Sie, die GBU-28 habe ich doch eigens entwickelt, um die tief im Erdreich verborgenen irakischen Kommandozentren zu treffen. Es wäre ja unsinnig, daneben zu treffen, nicht wahr. Das mache ich prinzipiell nicht. Damit wird der Herrscher auf das Natürlichste und in der einfachst möglichen Form zur Verantwortung gezogen oder am besten gleich eliminiert. Das wäre überhaupt das Beste für alle.

Bald haben wir ihn. Lebend oder tot. (...) Diese GBU-28 ist, wie gesagt, so lassen Sie es mich doch endlich erklären, eine 2,5 t schwere, lasergesteuerte konventionelle Waffe. Die sie bedienen, sind ja auch noch ganz konventionelle Menschen, nicht wahr. Auch die hab ich gemacht, deshalb weiß ich es so genau. Sie hat einen 2,2 t schweren Eindringkörper. So ist es gut. Ich blase und blase, aber es kommt nichts heraus, was ich noch schlucken könnte.

Diese Bomben sind eigentlich modifizierte Kanonenrohre, die ich da blase, auweia, das wird aber heiß, das ist aber hart, sowas Hartes habt ihr noch nie im Mund gehabt, Leute, gefüllt mit 300 kg hochbrisantem Tritonal-Sprengstoff. Ja, gefüllt hab ich das harte süße Zeugs und mit dem dazu passenden GBU-27 LGB-Kit versehen, das ist ein Lasersteuerungsnachrüstungssatz, ja, den kriegen Sie als Nachrüstungssatz, ganz richtig, falls er Ihnen nicht lang genug steht, dann müssen Sie nachrüsten, dann müssen Sie dumme Bomben nachrüsten, damit sie klüger werden. Die GBU-28 wird innerhalb des Zieltunnels ausgeklinkt und findet mithilfe des Reflexes eines Laserstrahls, der auf das Ziel gerichtet ist, den Einschlagspunkt.

Dazu hat die GBU-28 am Heckteil vier bewegliche Leitfinnen, also unsere Delfine würden glatt neidisch werden, wenn sie die sehen könnten, also Leitfinnen, mithilfe derer sie ihre Bahn, innerhalb gewisser Grenzen natürlich, die sogar uns gesetzt sind, in den Zieltunnel steuern kann. Jetzt kommt’s! Jetzt kommt’s endlich raus, mein Mund zum Schöpfen wurde schon müde (...) Es kann nichts schief ^gehen, diese Laserpointer sind nämlich sehr genau, sobald sie ein Ziel haben.

Hier, das Bild, es erscheint und leuchtet hell, wir haben es im Kasten, wir haben was auf dem Kasten, ich habe das gemacht. Sein und Schein. Schauen Sie! (...) Das Sein ist immer nur ein Grad von Scheinbarkeit, und der Schein kommt aus diesem Fernsehgerät, welches ich ebenfalls erschaffen habe. Es ist ein praktisches Zusatzgerät zu all diesen Bomben. War das nicht nett von mir? So können Sie sie wenigstens verfolgen, die Bomben, aber einholen werden Sie sie nicht. (...)

Man muss dem Werden von Anfang an den Charakter des Seins aufdrücken, dann wird es schon werden. Dann wird das schon unsere Macht geworden sein. Weil wir sie gewollt haben. Einer muss sie ja wollen, da liegt sie am Boden, alle steigen drauf, sie ist schon ganz dreckig geworden, einer muss sie ja wollen, einer muss sie ja nehmen, und dann hat er sie auch schon. Einer hat sie sich genommen. Bravo. Applaus. Weil er sie gewollt hat, hat er sie sich genommen. (...)

Die liegt da, die Macht, und diese Stiefel dort sind, rein aus Neugierde wie’s weitergeht, über sie drübergehopst, und diese auch, sind manchmal auch draufgetreten, das kommt ja vor, die Augen haben derweil ferngeschaut, ich meine, sie haben in die Ferne gesehen. Die arme Macht.

Alles kommt immer wieder, vor allem die Kriege. Aber dass sie immer wiederkommen, ist die extremste Annäherung dieser Welt des Werdens an die des Seins. Es IST alles, weil alles kaputt ist. Weil wir es gesagt haben und aus. Aus. Aus. Aus. Wir stehen auf dem Gipfel der Betrachtung, sehen, dass das, was ist, Schein ist, sobald es endlich geworden ist, sobald es endlich nichts geworden ist, wieder nichts, und wir wenden uns ab und schauen in uns hinein und aus uns heraus. Wir wissen nichts, wir erfahren nichts, wir irren uns, wir fangen von vorn an, wir täuschen uns, wir täuschen andre, wir sind enttäuscht, dass wir noch nicht gewonnen haben.

Auswahl und Montage: Richard Reichensperger

Elfriede Jelinek, Schriftstellerin, lebt und arbeitet in Wien und München.

Den vollständigen Text "Bambiland" finden Sie unter ...elfriede...