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Nicht nur gemeinsam essen, sondern auch zusammen die Welt entdecken: So sieht für Wustmann der ideale Kindergarten aus. Doch es fehlt an Geld, Ausbildung - und 70.000 Betreuungsplätzen.

Foto: AP/Rietschel

STANDARD: Experten jubeln darüber, dass es Ihren Job jetzt auch in Österreich gibt. Was haben denn die Kinder letztlich davon?

Wustmann: Kinder, die eine außerfamiliäre Betreuungseinrichtung besuchen, brauchen Pädagoginnen, die eine enge Bindung zu ihnen aufbauen und mit ihnen die Welt entdecken. Sie müssen sich gemeinsam mit den Kindern auf eine Forschungsreise begeben, auf die verschiedensten Fragen, die Kinder haben, eingehen. Die sind zum Teil für uns Erwachsene sehr überraschend. Auf Anhieb wissen wir auch auf viele Fragen gar keine Antwort, weil wir sie gar nicht mehr stellen.

STANDARD: Wie zum Beispiel...?

Wustmann: Die haben so viele Fragen. Das beginnt bei "Warum klebt Leim?" Ein Mädchen hat im Rahmen eines Projektes ganz arg interessiert, warum manche Kinder eine Brille tragen müssen. Eine Frage, die wahrscheinlich in jeder Generation auftaucht, ist: Gibt es noch Dinosaurier? Es kommt auch: Warum wird Wäsche weiß, wenn in dem Waschpulver eigentlich blaue Kugeln drinnen sind? Da braucht es Pädagoginnen mit einem ganz wachen Blick. Die müssen keine Antworten finden, aber sie müssen wissen, wie sie diese Neugier mit den Kindern gemeinsam befriedigen können.

STANDARD: Und dieser Blickwinkel kommt Ihnen jetzt zu kurz?

Wustmann: Die Pädagoginnen schaffen es kaum. Ich will niemandem mit einer Bakip-Ausbildung (Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik, Anm.) unterstellen, sich nicht sehr zu bemühen. Aber:In Österreich wird es ihnen besonders schwer gemacht, weil sehr, sehr viele Kinder in einer Gruppe sind. Es ist ein Unterschied, ob sie mit 15 Kindern arbeiten oder mit 25.

STANDARD: Vor welchen Herausforderungen stehen Pädagoginnen heute noch?

Wustmann: Es wachsen nicht alle Kinder gesichert auf. Es gibt neben jenen mit liebevollen Eltern und ausreichenden materiellen Grundlagen auch Kinder, die in sozialen Notlagen groß werden. Das hat natürlich Folgen. Unterschwellig wird in Zusammenhang mit dem Kindergarten immer propagiert, dass er zu mehr Chancengleichheit beiträgt. Da ist es schon ganz entscheidend: Wo liegt so ein Kindergarten, habe ich viele Sozialfälle oder nicht? Wir können nicht nur über Bildung nachdenken, wir dürfen den sozialen Kontext nicht aus den Augen lassen.

STANDARD: Wo liegen die größten strukturellen Baustellen?

Wustmann: Beim Ausbildungsstand der Beschäftigten. Nicht einmal 50 Prozent derer, die in Kindergärten tätig sind, sind auch wirklich dafür ausgebildet. Das ist fatal. Ein weiteres Problem ist die Finanzierung:Die Politik muss endlich mehr Geld in die Hand nehmen, Wirtschaftskrise hin oder her. Ich bin keine Fantastin - aber der Frühkindbereich ist immer einer, wo das Geld angeblich nicht reicht.

STANDARD: Derzeit wird vor allem in den Ausbau der Betreuung - Stichwort: verpflichtendes Kindergartenjahr - investiert. Die Qualität bleibt auf der Strecke?

Wustmann: Ja, das ist ein Problem. Es fehlen in Österreich rund 70.000 Plätze. Viele Eltern suchen noch immer dringendst einen Betreuungsplatz, aber wenn sich Kinder und Mütter und Väter dort nicht wohl fühlen, bringt das nichts. Ich kann nicht einfach sagen, es ist wunderbar, dass es jetzt endlich einen Bildungsrahmenplan für den Kindergarten gibt, man muss den Pädagoginnen auch wirklich Unterstützung bereitstellen. Denn man kann sich nicht auf etwas Neues einlassen, wenn die Rahmenbedingungen ohnehin schon ziemlich schwierig sind.

STANDARD: Ist der Beruf der Helferin ein Auslaufmodell?

Wustmann: Wenn sie in diesem Bereich nur unterstützend zur Seite stehen, könnte man damit leben. Wenn allerdings die Kindergärtnerin ausfällt und die Helferin deren Part übernimmt, dann ist es nicht haltbar.

STANDARD: Wird denn alles viel besser, wenn dann alle Pädagoginnen an die Uni gehen?

Wustmann: Das alleine reicht nicht. Ich glaube, jede Ausbildungsebene hat bestimmte Kompetenzen. Da braucht es eine Verständigung darüber, was können wir voneinander mitnehmen und wie können wir die Ausbildungsgänge aufeinander aufbauen.

STANDARD: Warum nicht gleich ein Studium der Kindheitswissenschaften wie in Finnland?

Wustmann: Ich halte sehr viel davon. Auch davon, Volksschullehrerinnen und Kindergärtnerinnen erst in einem Grundstudien-Bachelor gemeinsam auszubilden und dann die angestrebte Richtung als Vertiefung zu wählen. Pädagoginnen können dann in beiden Bereichen tätig sein und verstehen einander hoffentlich besser. Es gibt ja seit Jahrzehnten die Frage, wie kann der Übergang vom Kindergarten in die Schule besser gelingen. Das ist eine "never-ending story" , und irgendwann sollten wir die einmal zu Ende schreiben. (Karin Moser/DER STANDARD-Printausgabe, 29.3.2010)