Heinz Reitbauer, fotografiert von Peter Rigaud. Er trägt einen Hugo-Boss-Anzug von Gil im Steffl, 1010 Wien. Krawatte von Prada, Hemd von H&M. Fotografiert wurde in der Gärtnerei Bach, Contiweg 165, 1220 Wien.

Foto: Peter Rigaud

Gemüse samt Zuwaage - einige neue Steirereck-Kreationen, in denen der Einsatz tierischen Proteins merklich zurückgenommen wird: Kurz gedämpfter Grünspargel mit Petersilienwurzen, Pericon, Spargelpudding und Haselnüssen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kräuterspinat mit Sesam-Ei, Frühlingsblüten und Spitzmorcheln.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Beta-Sweet-Karotte mit Apfel-Rohkost-Marmelade, Basilikum und Erdnussöl.

Fotos: Gerhard Wasserbauer

Foto: Gerhard Wasserbauer

Heinz Reitbauer hat in seinem Leben schon ganz ordentlich Fleisch gegessen. Dass es ihm noch schmeckt, darf einen fast ein wenig wundern. Über Jahre hatte er den Rôtisseur-Platz in seiner Küche inne, jene Position in der Haute Cuisine also, an dem der Lammrücken gedämpft, die Kalbsniere gegrillt und das Rehfilet gebraten werden. In dieser Zeit lässt Reitbauer es sich nicht nehmen, von jedem Stück Fleisch zu kosten, das von der Pfanne über Rastplatz und Tranchierbrett auf die Teller wandert. "Ein Test", sagt er, "um bestmögliche Qualität zu garantieren". Bei mindestens fünf Arbeitstagen die Woche und der bekannt hohen Auslastung des Steirerecks kommt da einiges zusammen - zumal die meisten Gäste durchaus mehr als einen Fleischgang ins Menü packen lassen.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Als Reitbauer sich wegen diverser Zipperlein einmal von einer chinesischen Ärztin untersuchen lässt, braucht diese "keine zwei Minuten", um festzustellen: "Sie essen zu viel Fleisch - viel zu viel", und zwar, wie Reitbauer betont, "obwohl die Frau Doktor nicht wusste, wer und was ich bin".

Fleischkonsum reduziert

Das macht Eindruck, Reitbauer sieht forthin davon ab, von jeder Portion zu kosten und reduziert auch sonst den Fleischkonsum. Dass diese persönliche Entwicklung ursächlich dafür ist, dass im Steirereck seit einiger Zeit das Gemüse so deutlich im Vordergrund steht, will er aber nicht bestätigen: "Ich arbeite seit geraumer Zeit nicht mehr am Rôtisseur-Platz. Davon abgesehen, hat Gemüse seit jeher eine zentrale Rolle in meiner Küche gespielt."

Vielmehr, so Reitbauer, soll die neue Konzentration aufs Botanische seine besondere Hingabe, ja Verehrung für alles Fleischliche erst richtig akzentuieren. Das mag aufs Erste paradox klingen, aber das Steirereck ist nicht zufällig jenes Spitzenrestaurant des Landes, das seinen Bedarf an Fleisch zu einem ganz wesentlichen Teil aus eigenen Ressourcen speist. Reitbauer ist kein Koch, der sich seinen Bedarf an Edelteilen mittels Gourmet-Laster anliefern lässt: Am steirischen Pogusch, wo die Familie neben dem Erlebniswirtshaus auch eine Landwirtschaft betreibt, weiden 150 Schafe, deren Lämmer exakt so gefüttert werden, wie der multipel besternte Küchenchef sich das vorstellt. Im hauseigenen (und, natürlich, EU-zertifizierten) Schlachtraum werden sie am Hof verarbeitet - stressfreier geht es kaum. Bauern ziehen dem Koch Kälber nach exakt vereinbarten Richtlinien groß - wobei groß bei Milchkälbern, die zur höheren Ehre des guten Geschmacks heranwachsen, relativ ist: Außer Milch bekommen sie jeden Tag ein frisch verschlagenes Ei. Bevor sie am Raufutter Gefallen finden, ist ihre Zeit schon gekommen.

"Fleisch ist ein fantastisches Lebensmittel", sagt Reitbauer. "Es bietet einen Reichtum an Möglichkeiten im Geschmack, in der Textur, im Genuss, auf den ich weder als Koch noch als Esser verzichten möchte." Aber: Eben weil es so irrsinnig gut schmeckt, laufe man als Esser Gefahr, sich mehr davon zu genehmigen, als auf die Dauer guttut.

Davon abgesehen wisse jeder Koch, dass es unendlich viel einfacher sei, ein Filet halbwegs ordentlich abzubraten als sich mit Knollensellerie oder Rüben oder Brokkoli so auseinanderzusetzen, dass große Küche daraus wird.

Außerdem will Reitbauer seinen Gästen jenes Gefühl ersparen, das ihn selbst nach festlichen Abenden in erstklassigen Restaurants immer wieder einmal heimsuchte: wenn edles Essen zur Herausforderung wird, weil es der Küchenchef gar zu gut mit einem meint. Der britische Restaurantkritiker Jay Rayner (Guardian) hat das einmal als "Great Restaurant Syndrome" definiert - wer öfter einmal edel essen geht, weiß sofort, was damit gemeint ist: Es stellt sich ein, wenn der Koch nur ja keinen Verzicht üben will und eine Abfolge von Kreationen verfertigt, die zwar, jede für sich, von makelloser Köstlichkeit sein mögen - in Summe aber zur Belastung für den Gast werden, sodass er im Nachhinein noch einmal für das himmlische Mahl bezahlen muss: mit einer schlaflosen Nacht, mit schlaffer Libido, mit gewaltigem Rumoren im Bauch.

"Zu viel essen kann der Gast auch anderswo", sagt Reitbauer, weshalb vieles von dem, was in der Haute Cuisine einst als sakrosankt und unentbehrlich galt, im Steirereck seit geraumen Jahren keinen Platz mehr hat: Butter etwa, die zwar zum Couvert serviert und in manchen Desserts eingesetzt wird - aber längst nicht mehr zum Montieren von Saucen. Oder dichte Fonds, für die Knochen, Sehnen, Fleisch über Stunden ausgekocht werden, bis die ganze gelatinöse Kraft in sie übergeht. Klar schieben die in der Kombination mit Wein, Gewürzen und anderen Finessen wie Trüffeln den Wohlgeschmack des Fleisches noch einmal gewaltig an - aber bekömmlich ist anders.

Zeller in Walnussblättern

Vor allem, da es auch ganz anders und ungleich interessanter geht. Kurz gebratenen Rehrücken etwa kombiniert Reitbauer mit in jungen Walnussblättern gegartem Zeller und jagt dem wilden Tier mit Steinpilz-Thymian und gedämpftem sowie roh mariniertem Pilzkraut (Kräuter, die er bei der unvergleichlichen Wiener Gärtnerei Bach bezieht), mit klarem Saft aus Sellerie und Latschen, mit gerösteten Hasel- und gedörrten schwarzen Nüssen eine Fülle faszinierender Aromen hinterher - alles Zutaten, die aus der pflanzlichen Abteilung von Wald und Flur stammen.

Bloß: Wie lässt es sich der bekannt konservative Wiener Gast gefallen, wenn plötzlich ein Bohnengemüse mit knusprigen Erdäpfeln und ein wenig Ochsenmark als Hauptgang einer Speisenfolge aufgetragen wird? "Der freut sich in den allermeisten Fällen sehr darüber", sagt Heinz Reitbauer, "nicht nur, weil es ihn vielleicht an ein Essen aus der Kindheit erinnert, sondern vor allem, weil er mit dem Essen etwas mit in den Tag oder Abend nehmen kann, das nicht ihn mitnimmt. Idealerweise gelingt es uns, den Gast so zu sättigen, dass er viel und reichlich gegessen hat, aber dennoch erfrischt und energetisiert fortgeht - das zumindest sehe ich als ein wichtiges Ziel unserer Küche." (Severin Corti, DER STANDARD/rondo/11.06.2010)