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In der Musik zweisprachig zu sein, bringt Berufsvorteile

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Selbst bimusikalisch, versucht Hande Saglam ihren Studierenden deren Wurzeln bewusst zu machen

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Volksmusik ist doof. Diese Ansicht ist international populär - zumindest, was die Volksmusik des eigenen Herkunftslandes betrifft. Auch Musik-Studierende pflegen über die eigene Vergangenheit bei der dörflichen Blasmusik oder der Chorgruppe zu schweigen. 

Dabei verbirgt sich dahinter ein besonderes Potenzial: Viele ihrer Studierenden seien „bimusikalisch", erzählt die Musikwissenschafterin Hande Saglam von der Uni Wien. Das heißt: So, wie viele Menschen zweisprachig aufwachsen, verstünden diese Studierende zwei musikalische Sprachen perfekt. Für viele der Wiener Musik-Studierenden gilt beides: So sind fast 70 Prozent der Kompositions-StudentInnen nach Österreich zugewandert, sind also bilingual und oft auch bimusikalisch.

Peinlich

Saglam hat ihre Studienerenden befragt, was sie selbst für musikalische Backgrounds haben - das kann Volksmusik sein, oder aber ein geschultes Ohr, was moderne Komposition abseits der westlichen Tonstruktur betrifft. Die Wissenschafterin schätzt, dass 45 Prozent von ihnen bimusikalisch sind - wobei die Dunkelziffer höher ist. „Viele schätzen sich selbst nicht als bimusikalisch ein, weil ihnen ihre Wurzeln peinlich sind. Beim genaueren Nachfragen kommen wir dann drauf, dass sie zwei musikalische Sprachsysteme gleich gut beherrschen."

Um alle Studierende genau auf ihre Bimusikalität abzuklopfen, dazu fehlte das Geld. Saglam und die stellvertretende Institutsvorständin Ursula Hemetek beschränkten sich in ihrer Fragebogen-Erhebung also auf 111 Studierende der Komposition und der Musikpädagogik, wobei sie 15 von ihnen zu detaillierten Interviews einluden.

Zweisprachig dank Landler

Die Frage, wie man musikalische Sprachen voneinander abgrenzt, ist nicht eindeutig geklärt. Man identifiziert unterschiedliche Tonsysteme, die unterschiedliche Dominanz bestimmter Ton-Intervalle, Rhythmen und Akkorde. So verwende die westlich-klassische Musik ein temperiertes, mehrstimmiges System, während die türkisch-arabisch-persischen Systeme eher einstimmig aufgebaut sind. Klare Klassifikationen gibt es nicht: „Die Linguistik ist uns da weit voraus", sagt Saglam, die jedoch überzeugt ist, dass auch eine Salzburger Studentin mit Volksmusik-Sozialisation und einem Studium in westeuropäisch-klassischer Musik als bimusikalisch gelten kann. „Das sind zwei unterschiedliche musikalische Grammatiken", sagt Saglam, die zugibt, dass diese Ansicht unter KollegInnen strittig ist. 

Bimusikalische Menschen haben ihren KollegInnen etwas voraus, sagt Saglam auch aus eigener Erfahrung: Da sie sowohl türkische Volksmusik als auch westlich-klassische Musik verstehe, falle es ihr leicht, Elemente der jeweiligen Sprache zu identifizieren und selbst wiederzugeben. Für KomponistInnen sei es besonders reizvoll, ihre Bimusikalität auszuloten: Wer zwei musikalische Sprachen beherrscht, hat ein doppelt so großes Material zur Verfügung wie monomusikalische KollegInnen. Auch künftige MusiklehrerInnen hätten Vorteile, wenn sie die musikalischen Wurzeln mancher zugewanderter SchülerInnen verstünden und im Unterricht einbauen könnten.

Irisch-Tirolerisch

Bimusikalität hat aber nicht nur mit Herkunft zu tun. Eine japanische Studentin an der Uni Wien sage selbst, „keine Ahnung von japanischer Musik" zu haben. Und ein Tiroler Student sei - aufgrund einer Phase extremer Irland-Begeisterung im Teenager-Alter - heute bimusikalisch, da er irische Lieder perfekt wiedergeben könne, sagt Saglam.

„Es sollte im Interesse jeder Musik-Uni sein, musikalische Mehrsprachigkeit zu nutzen", sagt Saglam. Wien hinke hier anderen Städten wie etwa Rotterdam hinterher. Sie hofft, mit der Studie das Interesse von Forschungsgeld-GeberInnen geweckt zu haben. (mas, derStandard.at, 6.2010)