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Die Gewerkschaft kritisiert die Arbeitsbedingungen in heimischen Call-Centern.

Foto: APA/dpa/Deck

Die Gewerkschaft macht gegen die "unzumutbaren Arbeitsbedingungen" in Österreichs Call-Centern mobil. "Sollte sich nichts ändern, werden wir die Firmen beim Namen nennen." Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp), droht, Unternehmen an den Pranger zu stellen. Und zwar jene, die Aufträge an externe Call-Center vergeben, ohne auf die dortigen Arbeitsbedingungen Rücksicht zu nehmen: "Betriebe haben schließlich eine Verantwortung", sagt der Gewerkschafter zum Start einer Reihe von geplanten Aktivitäten, die am Montag in Wien präsentiert wurden.

25.000 Beschäftigte

In Österreich gibt es rund 250 Call-Center. Ein Großteil der insgesamt 25.000 Beschäftigen in dieser Branche arbeitet in externen Firmen, die für verschiedene Unternehmen tätig sind. Laut Schätzungen der Gewerkschaft sind 5.000 bis 6.000 Agents, wie Call-Center-Mitarbeiter genannt werden, freie Dienstnehmer. "Der überwiegende Teil davon zu unrecht", kritisiert Katzian die "Umgehungsverträge", mit denen sich Arbeitgeber teurere Angestelltenverhältnisse ersparen wollen. "Es fehlen alle Merkmale, die ein freies Dienstverhältnis charakterisieren", moniert er. Etwa die Möglichkeit, von zuhause aus zu arbeiten, sich vertreten zu lassen oder weisungsungebunden agieren zu können.

"Arbeiter zweiter Klasse"

Die Gewerkschaft hat die Situation in Call-Centern seit dem Jahr 2006 auf ihrer Agenda. In den letzten Jahren sei es zu leichten Verbesserungen gekommen, räumt man ein. So habe sich die Zahl der freien Dienstnehmer fast halbiert, dennoch seien die Bedingungen alles andere als befriedigend: "Das Arbeitsrecht wird noch immer systematisch hintergangen", sagt Sandra Stern, Mitherausgeberin des Buches "Arbeiten im Callcenter - Service um jeden Preis?". Freie Dienstnehmer seien "Arbeiter zweiter Klasse", kritisiert sie, "man kann zahlen, was man will".

Überwachung weit verbreitet

Stern berichtet von einem sehr hohen Observierungsgrad in der Branche: "Jedes zweite Unternehmen überwacht seine Mitarbeiter genauestens." Alle digitalen Spuren, Anrufe etc. werden penibel dokumentiert, erzählt sie: "Die Angst ist unglaublich groß." Viele Büros seien wie "Legebatterien" organisiert: "Alles ist aus Glas. Jeder kann sehen, wer gerade mit wem redet." Kein Wunder, dass die Mitarbeiter unter einem enormen Druck stehen. Das spiegle sich dann im Kontakt mit den Kunden wider; etwa wenn es um Freundlichkeit gehe.

Angst um den Job

Dass solche Methoden ein weit verbreitetes Problem sind, bestätigt auch Karin Arnberger, Betriebsratsvorsitzende im Call-Center "walter services": "Überwachung läuft meist unter dem Deckmantel Produktivität." Unter dem Vorwand, dass ja die Tickets den Auftraggebern verrechnet werden müssten, präzisiert sie. Es sei nicht selbstverständlich, dass das Arbeitsrecht eingehalten werde: "Viele haben Angst um den Job und trauen sich nicht, ihre Rechte einzufordern", so Arnberger, die von einem enormen Preisdruck am Markt berichtet. Dieser Druck werde dann nach innen weitergegeben. "Es gibt genaue Zeitvorgaben, wie lange ein Gespräch maximal dauern darf", schildert sie, "jene, die zu lange sind, werden von Kunden nicht mehr bezahlt."

"Zum Teil werden Mitarbeiter bei einem sehr geringen Fixum nur auf Provisionsbasis, also nach erfolgreichen Abschlüssen entlohnt", nennt Autorin Sandra Stern einen weiteren Kritikpunkt: Die Vertragsgestaltung sei "sehr kreativ". Natürlich im negativen Sinne. "Viele glauben, dass es in Call-Centern keinen Kollektivvertrag gibt", sieht Gewerkschafter Katzian noch jede Menge Informationsdefizite, "aber das stimmt natürlich nicht". Es gilt jener für das Gewerbe.

Falsche Einstufungen

Laut diesem Kollektivvertrag fallen Angestellte, die "einfache Auskünfte" erteilen in die Verwendungsgruppe I + II und haben im ersten und zweiten Arbeitsjahr Anspruch auf ein monatliches Mindestgehalt von 1.218 Euro. Angestellte, die "qualifizierte Auskünfte" geben, müssten auf ein Fixum von Minimum 1.521 Euro kommen. Müssten, denn hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander, meint Katzian: "Einfache Auskünfte gibt es so gut wie nicht."

Wenn es um technische oder finanzielle Dinge gehe, habe dies nichts mehr mit einer "einfachen Auskunft" zu tun, so der Gewerkschaftsboss: "Das kann nicht irgendein Wurschtel machen." Viele Angestellte stufe man in einer zu billigen Verwendungsgruppe ein, was rechtlich nicht in Ordnung sei, so Katzian. Insgesamt gibt es sechs Klassifizierungen. Schätzungen zufolge wird rund ein Drittel gehaltsmäßig zu niedrig angesiedelt.

Fixer Stundenlohn ohne Zuschläge

Ein weiteres Problem sieht Katzian bei Zuschlägen für Nacht- oder Feiertagsarbeit: "Viele Call-Center sind ja rund um die Uhr erreichbar." Die Honorierung werde zwar im KV genau geregelt, viele Arbeitgeber würden dies aber zum Leidwesen der Beschäftigten ignorieren. "Es ist häufige Praxis, dass man einfach einen fixen Stundenlohn ausmacht." Die größten arbeitsrechtlichen Probleme ortet er bei externen Call-Centern. Dass Firmen ihre Telefondienste aus Kostengründen auslagern, sei ein Trend, der in den letzten Jahren stark zugenommen habe. "In der Hoffnung, dass es billiger ist." Das sei jedoch nur realistisch, "wenn in diesen Betrieben zu wenig gezahlt wird." Die Attraktivität des Auslagerns müsse man mit fairen Arbeitsbedingungen torpedieren, fordert er.

Kontrollen angekündigt

Katzian will permanenten Druck auf die Firmenleitungen ausüben - und zu diesem Zwecke die Krankenkassen in die Pflicht nehmen. Kontrollen, ob es sich hier um korrekt deklarierte Arbeitsverhältnisse handelt, müssten in ganz Österreich durchgeführt werden. "Das ist schließlich ein Schaden für das gesamte Sozialversicherungssystem." Als weitere Maßnahme werde es strenge Überprüfungen der Betriebe durch das Arbeitsinspektorat geben, kündigt er an. Mit Hilfe von gezielter Informationsarbeit sollen Mitarbeiter dazu animiert werden, dass sie ihre Arbeitsverträge von der Gewerkschaft unter die Lupe nehmen lassen.

Katzian hofft, langfristige gewerkschaftliche Strukturen etablieren zu können: "Mit der Gründung von Betriebsräten." Da das Metier ein ziemlich junges sei, gebe es bis dato noch keine weit reichende Interessensvertretung. Das bestätigt auch Studienautorin Sandra Stern: "Nur in 18 Prozent der Call-Center gibt es Betriebsräte." Auf der einen Seite will die Gewerkschaft den "Druck auf die Unternehmen aufrechterhalten", auf der anderen Seite appelliert Katzian auch an die Mitarbeiter, sich zu organisieren: "Damit sich was ändert, brauchen wir Leute, die sich zur Wehr setzen." (derStandard.at, 21.6.2010)