So viele EU-Enthusiasten wie in Polen findet man in keinem anderen Land. Mehr als 80 Prozent der Polen befürworten den EU-Beitritt des Landes vor sechs Jahren. Viele Polen haben sogar mehr Vertrauen zu den "eurokraci" in Brüssel als zur eigenen Regierung in Warschau. Die lang ersehnte "Rückkehr nach Europa" wirkte sich auch positiv auf das polnische Selbstwertgefühl aus. Rund die Hälfte der Polen fühlt sich heute wohler in ihrer Haut als vor dem EU-Beitritt. Dies zeigt eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts CBOS. In knapp einem Jahr, am 1. Juli 2011, wird Polen die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Dies wird im Land vor allem als Chance gesehen, sich innerhalb der EU als vollwertiges und kompetentes Mitglied zu präsentieren. Die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren.

"Polen liebt Europa" , schwärmte vor Jahren ein polnischer Journalist. Das war nicht immer so. Denn Europa hat Polen in der Vergangenheit mehrfach böse mitgespielt. Im 18. Jahrhundert teilten die Nachbarmächte Preußen, Österreich und Russland den Doppelstaat Polen-Litauen unter sich auf. Für 120 Jahre verschwand Polen von der Karte. Damals entstand der Mythos von Polen als dem "Christus der Nationen" . Das "wieder auferstandene" Polen werde dereinst allen unterdrückten Nationen die Freiheit bringen, so Polens Nationaldichter Adam Mickiewicz. Die Zeit der Teilungen prägte die Identität der Polen als Kulturnation.

1989/90 feierte Polen die "Rückkehr nach Europa" . Das Land gewann als erstes im damaligen Ostblock seine Souveränität zurück. Polen trat der Nato und schließlich der EU bei. Damit war Polen zwar endgültig wieder in der Staaten- und Wertegemeinschaft Europas angekommen, doch das Misstrauen gegenüber den europäischen Nachbarn blieb.

Die USA blieben auf dem Spitzenplatz, wenn es um Sympathie und Vertrauen ging. So ist auch zu verstehen, warum die Warschauer Regierung unbedingt das amerikanische Raketenabwehrsystem auf polnischem Boden stationieren will. Die europäischen Nato-Staaten könnten ja möglicherweise Polen wieder nicht helfen, wenn das Land angegriffen würde.

Doch über die positiven Erfahrungen mit der EU wächst auch Polens Vertrauen zu einzelnen Staaten Europas wieder. So will Bronislaw Komorowski, der soeben gewählte neue Präsident, als erste Städte nicht Washington und die Vatikanstadt Rom besuchen, sondern Brüssel, Paris und Berlin. Natürlich werde er auch gerne die Einladung Barack Obamas in die USA annehmen, so Komorowski, doch die Reihenfolge sei schon wichtig. Denn: "Die EU - das ist auch Polen." (Gabriele Lesser aus Warschau/DER STANDARD, Printausgabe, 17.7.2010)