Festspiele 1936: Vizekanzler Baar-Baarenfels, Kanzler Schuschnigg, Prinz Umberto von Piemont und Staatssekretär Guido Schmidt bei der Vorstellung des "Jedermann" auf dem Domplatz in Salzburg.

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Kiebitze bei der Faust-Probe des Magiers Max Reinhardt in der anno 1933 noch dachlosen Felsenreitschule, wovon die Neue Freie Presse ehrfürchtig berichtete: "Babylonisches Sprachengewirr, angeregte französische, deutsche, englische, italienische Konversation. Jetzt verstummen die Gespräche, alle Operngucker richten sich auf Professor Max Reinhardt (...) In den Kreis der Zecher treten Faust und Mephisto. Pallenberg hat sich keineswegs mephistophelisch adjustiert, er trägt kurze Hose und Salzburger Joppe. Aber schon beim ersten Wort umlodert ihn die Höllenglorie."

Am Tag der Premiere ist viel Prominenz in Sicht, Marlene Dietrich und Stefan Zweig, die Unvergessenen. Der Himmel wollte jedoch partout nicht mitspielen. Erst nach der vierten Auffahrt der Limousinen blieb die Felsenreitschule trocken: der Salzburger Faust mit Max Pallenberg als Mephisto, brillierend in der für den Charakterkomiker ungewöhnlich seriösen Rolle.

Max Pallenberg, 1877 in Wien geboren, ein Jude, der den Ort seiner Triumphe, die Reichshauptstadt Berlin, 1933 verlassen musste, war sich der bedrängenden Situation in Salzburg nahe der geschlossenen Grenze zu Deutschland bewusst, und ebenso sein Schwiegersohn, der aus München vertriebene Schriftsteller Bruno Frank, der mit seiner Gattin Liesl, Tochter der Operettendiva Fritzi Massary, in Salzburg Goethes aktuelle Tragödie vom deutschen Gelehrten, der seine Seele dem Teufel verschreibt, erleben durfte und gleich seinem Kollegen Thomas Mann aus der Sicht deutscher Exilkultur berichtete: "Das Werk hat mich so sonderbar überwältigt. Dies unnennbar hohe Deutsche - das ein paar Meter westlich von einer fußstinkenden Lumpenhorde vor dem Erdball auf lang hinaus verstraft und zum Gegenstand verachtenden Ekels gemacht wird."

Am 26. Juni 1934 ist Max Pallenbergs Flugzeug beim Anflug auf Karlovy Vary abgestürzt, was die Wiener Reichspost zu einem antisemitischen Nachruf beflügelte: "Die Entwicklung der politischen Verhältnisse in Deutschland hat auch Pallenberg zu spüren bekommen, die Ahasvernatur seines Volkes ließ ihn nirgends mehr verwurzeln." - Rechtfertigung der laufenden Verfolgung, doch hier die nackten Fakten: Der tote Pallenberg wurde nach Wien überführt und auf dem Zentralfriedhof bestattet. In der Israelitischen Abteilung befindet sich das Grab seiner aus Galizien stammenden Eltern Markus und Therese Pallenberg. Deren ältester in Wien geborener Sohn Isidor, Kontrolleur im Volkstheater, und seine Frau Gisela, unterm NS-Regime im 2. Wiener Bezirk, Blumauergasse 15, wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert (am 24. Februar 1944 kremiert). Max Pallenbergs erste Frau Betti Frankl, aus deren Ehe eine Tochter hervorging, wurde 1942 in Riga ermordet. Hingegen seine zweite Frau Friederike Massarik, "die Massary" , einst bei den Festspielen als Adele in der Fledermaus, als Jüdin vertrieben, ist über ihren Tod in Beverly Hills hinaus unvergesslich, unsterblich, als Wienerin vereinnahmt.

Der Schauspieler Fritz Richard, der in Berlin und Salzburg wohnte, gehörte zum Ensemble Max Reinhardts. 1932 spielte er zum letzten Mal seine Leibrolle im Salzburger Jedermann. Am 9. Februar 1933 war er tot, gestorben in Berlin knapp nach der Machtergreifung: schon seltsam, nicht einmal ein gehässiger Nachruf. Lange hält sich aber das Gerücht über seinen gewaltsamen Tod in Berlin. Zum Schutz der Hinterbliebenen wurde jedenfalls verheimlicht, dass Josef Richard Löwit, wie Fritz Richard mit bürgerlichem Namen hieß, Jude war, geboren am 6. Jänner 1870 in Chotebor, Böhmen. Seine Eltern Josef und Therese Löwit, die in Wien lebten, sind auf dem Zentralfriedhof (Israelitische Abteilung Tor 1) bestattet.

Verheiratet war Fritz Richard mit der Schauspielerin Frida Richard, eigentlich Friederike Raithel (keine Jüdin), die ebenfalls bei den Salzburger Festspielen mitwirkte, unterm NS-Regime aber in Filmen wie Die goldene Stadt, Opfergang und Tiefland. Sie starb 1946 in Salzburg.

Ihre drei Töchter galten unterm NS-Regime als Halbjüdinnen, zwei überlebten die Verfolgungen, von der dritten hieß es bloß, sie sei in den Osten verschleppt worden, selbst ihr Name blieb ein Geheimnis: Frieda Löwit, geboren am 23. 10. 1900 in Augsburg, verheiratet mit Ernst Percy Schablin, war noch im Jahr 1938 bei ihrer Mutter in Salzburg-Parsch, flüchtete hernach mit ihrem Mann und ihren Schwiegereltern nach Frankreich. Nach der deutschen Besetzung wurde die Familie im Transitlager Drancy bei Paris interniert. Vor der Deportation gelang es Ernst Percy Schablin, nach London zu fliehen. Sein Vater Paul Schablin wurde am 28. 8. 1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert. Seine Mutter Klara, geborene Vogl, und seine Gattin Frieda, die Tochter von Fritz und Frida Richard, stehen auf der Transportliste vom 4. 11. 1942: nach der Befreiung Österreichs gerichtlich für tot erklärt.

Komplizierte Recherchen

Manche Schicksalsverläufe, speziell bei Konversionen und Namensänderungen, sind schwer zu ermitteln. Richard Metzl, geboren 1870 in Prag und evangelisch laut Meldekartei, war Schauspieler, Regisseur, Sekretär Max Reinhardts im Schloss Leopoldskron und ein Freund Stefan Zweigs. Doch aus welchem Grund verließ Richard Metzl Österreich im August 1938?

Komplizierte Recherchen ergaben, dass er jüdische Eltern hatte, die von Prag nach Wien übersiedelten. Sein Vater Moriz Metzl, vormals Moses Metzeles, ist 1896 gestorben (Israelitische Abteilung Tor 1). Seine Mutter Louise, geborene Wiener, die nach dem Tod ihres Gatten in Salzburg wohnte, ist dort im Jahr 1909 gestorben, auf dem Jüdischen Friedhof bestattet. Von ihrem Sohn Richard Metzl, der noch bei den Festspielen 1936 vom Bundespräsidenten einen Verdienstorden erhielt, verlieren sich die Spuren in Frankreich, jedoch nicht zur Gänze. In der Meldekartei der Stadt Salzburg ist hinter dem Namen Richard Metzl vermerkt: "+ [tot] 31. 10. 1941 Paris" , ein Todestag, den die Meldepolizei wohl nur von der deutschen Besatzungsmacht erhalten haben konnte, woraus auf ein tragisches Ende zu schließen ist.

Dr. Hermann Ullrich, Sonderkorrespondent der Neuen Freien Presse, der laufend, zuletzt im August 1937, über das festliche Salzburg berichtete, war Jurist, eine Zeitlang Richter am Landesgericht Salzburg, überdies Komponist und von 1938 bis 1945 Exilant in London. Dort im Free Austrian Movement rege tätig, gab er zur Würdigung seines Freundes Stefan Zweig, der seinem Leben im Exil ein Ende machte, eine Sonderpublikation mit Beiträgen von Vertriebenen heraus. Ullrich zählte zu den wenigen, die gleich nach der Befreiung nach Wien zurückkehrten, obschon kein Verwandter mehr lebte: Seine Eltern, Mathilde, geborene Knepler, und Dr. Albert Ullrich, Primar am Kaiserin-Elisabeth-Spital, liegen auf dem Zentralfriedhof (Israelitische Abteilung Tor 1). Seine Schwester Marie (Molly) Latzko, Witwe, wurde 1942 in Riga ermordet.

Der exilierte Opernregisseur Lothar Wallerstein, Sohn eines Oberkantors der Prager Meisel-Synagoge, seit 1945 US-Bürger, inszenierte hernach wieder bei den Festspielen. Er starb im November 1949 in New Orleans. So weit ist alles bekannt, Familiäres kaum. Sein Bruder Konrad Wallerstein, Professor für Musik in Prag, und dessen Ehefrau Frieda wurden 1943 nach Theresienstadt, im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert, dort ermordet. Seine Schwester Laura, kurz nach dem Tod ihres Mannes Julius Bunzel von Wien nach Theresienstadt deportiert, erlebte 68-jährig die Befreiung, denn sie befand sich unter jenen 1200 Häftlingen, die Anfang Februar 1945 von Theresienstadt in die Schweiz geschickt wurden.

Die Schicksalsverläufe können recht unterschiedlich sein, dazu zwei Beispiele: Rosette Anday (Piroska Andauer), vor 1938 die meistumworbene Sopranistin, hernach Betroffene der Nürnberger Rassengesetze, war mit einem Wiener Rechtsanwalt verheiratet, der unterm NS-Regime als Arier galt. Frau Anday erlebte in Wien die Befreiung, konnte an die Staatsoper zurückkehren, wieder bei den Festspielen auftreten, zum Beispiel als Frau Simon in Gottfried von Einems Dantons Tod.

Alma Rosé, die getaufte Tochter der Justine Mahler und des Arnold Josef Rosé, Primarius des Rosé-Quartetts, war 1939 schon im britischen Exil, gab dann in Holland Konzerte, flüchtete nach Frankreich, wurde verhaftet, von Drancy nach Auschwitz deportiert, dirigierte dort das Mädchenorchester, bis zu ihrem Tod am 5. April 1944. In dem 1990 erschienenen Band Die Salzburger Festspiele 1920-1945 sucht man allerdings vergeblich den Namen der Violinistin, die 1936 mit dem Rosé-Quartett auftrat - ein Beispiel, aber nicht beispielhaft, waren es doch vornehmlich vertriebene Jüdinnen und Juden, deren Künste den Festspielen Glanz und Weltgeltung (und der Stadt Salzburg die besonders geschätzten Devisen) eingebracht hatten. (Gert Kerschbaumer, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 24./25.07.2010)