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Trollys sind keine brauchbare Alternative zur Schultasche. Die Unfallgefahr ist mit den Taschen auf Rädern massiv erhöht.

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Das klassische Modell sollte korrekt eingepackt sein: Schwere Bücher gehören in das Fach nahe beim Rücken, leichte Dinge in die vorderen Fächer.

Foto: APA/Roland Schlager

Alle Jahre wieder: Der Schultaschenkauf kurz vor dem Schulbeginn beschäftigt Eltern und Kinder. Diskussionen um das Schultaschengewicht hält der deutsche Experte Oliver Ludwig für überflüssig.

derStandard.at: Wie viel Schultaschengewicht verträgt der kindliche Rücken?

Ludwig: Es gibt noch einen uralten Richtwert, der besagt, dass das Gewicht der Schultaschen 10-15% des kindlichen Körpergewichtes nicht überschreiten soll. An diesem Normwert klammert man sich bis heute fest und lässt dabei den körperlichen Zustand der Kinder völlig außer Acht. Es gibt Kinder, die sind so schwach gebaut und besitzen so wenig Bewegungserfahrung, dass sie schon mit zehn Prozent Schultaschengewicht überfordert sind. Und dann gibt es Kinder, die problemlos 20 bis25% ihres eigenen Körpergewichtes tragen können, ganz einfach weil sie muskulär stark genug sind. Es ist also überflüssig einen Grenzwert zu definieren und zu proklamieren, dass sobald dieser überschritten wird, für das Kind eine Gefahr besteht. 

derStandard.at: Gefüllte Schultaschen erreichen problemlos ein Gewicht zwischen vier und fünf Kilogramm. Was wenn es sich um ein besonders zart gebautes Kind handelt? 

Ludwig: Wir haben eine Menge Kinder untersucht und es kam ganz klar heraus: Wenn die Schultasche 15-17% des kindlichen Körpergewichtes beträgt, dann kommt es zu weder zu einer muskulären Ermüdung, noch zu einer Veränderung der Körperhaltung. Wir gehen also davon aus, dass 17% völlig bedenkenlos getragen werden können. Und darüber hinaus, empfehle ich Eltern ihr Kind einmal mit bepackter Schultasche auf dem Schulweg zu begleiten. Zwischendurch sollten Sie dann ihr Kind fragen, ob es Ermüdung empfindet. Eltern bekommen dann ein Gespür dafür, ob die Tasche schon zu schwer ist, oder ob das Kind damit eigentlich problemlos klar kommt.

derStandard.at: Mittlerweile gibt es viele bewegungsarme, also muskulär schwache Kinder. Kann hier die Schultasche mitverantwortlich sein für Haltungsschäden, Fehlstellungen oder Muskelverkürzungen?

Ludwig: Wir können das mit unseren Untersuchungen überhaupt nicht bestätigen. Muskelverkürzungen treten eigentlich erst auf, wenn Fehlhaltungen über eine relativ lange Zeit eingenommen werden. Realistischerweise darf man davon ausgehen, dass ein Kind maximal 15-20 Minuten für seinen Schulweg braucht. Dieser Zeitrahmen ist viel zu kurz um eine Muskelverkürzung zu erzeugen. Was die Schädigung der Wirbelsäule anbelangt, kann ich nur sagen: Ein Kind, das auf einem Spielplatz, herumspringt, klettert und balanciert, setzt seine Wirbelsäule einer ungleich größeren Belastung über einen ungleich größeren Zeitraum aus. Sie werden trotzdem keinen Orthopäden finden, der dieses Verhalten als ungesund bezeichnet und Kindern abrät auf dem Spielplatz herumzuturnen. 

derStandard.at: Warum gerät das Gewicht der Schultaschen dann trotzdem immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik?

Ludwig: Die Diskussion wird immer am falschen Punkt aufgehängt. Das Schultaschengewicht ist eigentlich völlig sekundär und die Angst, dass eine schwere Schultasche für den kindlichen Haltungsapparat schädlich sein könnte ist unbegründet. Vielmehr sollte darüber nachgedacht werden, wie die Kinder motorisch gefördert werden können. Eine starke Muskulatur und eine gute Koordination sind die beste Prophylaxe gegen zukünftige Haltungsschäden. 

derStandard.at: Das Tragen der Schultasche könnte sich also eigentlich sogar positiv auswirken?

Ludwig: Ja, denn für viele Kinder ist das Tragen ihrer Schultasche eigentlich das einzige Muskeltraining, das sie überhaupt noch machen. 

derStandard.at: Abgesehen vom Gewicht der Schultasche, spielt die Passform irgendeine Rolle?

Ludwig: Eine gute Schultasche wird auf dem Rücken getragen, nicht einseitig und nicht zu tief hinunter bis zur Lendenwirbelsäule, wie es bei Rucksäcken häufig der Fall ist. Die Gurte sollte straff sein, damit die Tasche am Rücken anliegt. Je weiter die Schultasche nach hinten durchhängt, desto mehr wird das Kind in das Hohlkreuz gezogen. Vernünftig einpacken macht ebenfalls Sinn. Das heißt schwere Dinge zum Körper und Unnötiges rausnehmen. 

derStandard.at: Was ist mit dem Trolley als Alternative?

Ludwig: Finger weg von Trolleys, also Taschen auf Rollen. Das ist das Schlimmste was sie einem Kind antun können. 

derStandard.at: Wegen der einseitigen Belastung?

Ludwig: Zum einen wegen der einseitigen Belastung und vor allem aber deshalb, weil Trolleys die Unfallgefahr massiv erhöhen. Wenn ein Kind damit Treppen hinauf und hinunter geht, in den Bus oder in die U-Bahn ein- und aussteigt, ist die Gefahr, dass der Trolley verrutscht und das Kinder darüber fällt groß. Man erkauft sich hier im Grunde eine Entlastung der Wirbelsäule mit sehr vielen Nachteilen ein. (derStandard.at, 02.09.2010)