Bild nicht mehr verfügbar.

Markus Hinterhäuser programmatisch: "Man muss für die Kunst ein Klima der Reflexion, der Auseinandersetzung erzeugen."

Foto: APA/BARBARA GINDL

Im Gespräch mit Andrea Schurian plädiert er dabei für eine "Temperatur des Außerordentlichen".

***

STANDARD: Proben, Konzerte, Triangel, Bazar: Sie sind in Salzburg omnipräsent. Haben Sie Doppelgänger, die für Sie unterwegs sind?

Hinterhäuser: Ich wurde schon oft als Christian Stückl angesprochen, und mir wurde zum Jedermann gratuliert, ich habe diese Gratulationen gern entgegengenommen. (lacht) Aber es stimmt, ich bin von früh bis spät unterwegs. Es macht mir Freude. Die Stadt ist auch klein genug, dass man sich ständig über den Weg läuft. Aber es ist fast wie bei Fernando Pessoa. Ich könnte mich in verschiedene Persönlichkeiten aufteilen. Vielleicht werde ich wie Pessoa enden: Dass ich traurige Gedichte schreibe und mich ständig erfinde. Einer seiner Heteronyme hat einen der schönsten Sätze geschrieben: "Wenn das Herz denken könnte, würde es aufhören zu schlagen."

STANDARD: Intendant Jürgen Flimm ist voriges Jahr als Regisseur eingesprungen; würden Sie das als Konzertchef auch tun, wenn ein Pianist ausfällt?

Hinterhäuser: Nein. Denn ich brauche eine gewisse Vorbereitung. Und in Salzburg würde ich das schon gar nicht machen. Wenn ich hier selber spiele, sind es Stücke, die keine Überambition meinerseits verraten.

STANDARD: Würden Sie gern öfter spielen?

Hinterhäuser: Ja, es ist schön, in eine andere Welt einzutauchen, aber ich habe nie viel gespielt. Dieses Nicht-sehr-viel-Spielen ist deutlich weniger geworden. Doch wenn es stattfindet und auch gutgeht, macht es mich glücklich.

STANDARD: Heuer haben Sie einmal gespielt. Am Tag des Konzertes ist Ihnen Valery Afanassiev, Ihr ursprünglicher Partner, abhanden gekommen, und Herbert Schuch sprang kurzfristig ein. Wie schwierig ist so eine Umbesetzung in allerletzter Minute - für Sie als Musikchef und für Sie als Künstler?

Hinterhäuser: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Manchmal ist etwas, das man sehr lange geprobt hat, gar nicht mehr so aufregend. Eine gewisse Zerbrechlichkeit kann daher sehr interessant sein. Die technische Bewältigung ist die eine Sache, die kann man lernen, aber im Grunde genommen geht es bei Musik um etwas ganz Elementares, um das Hören: einander zuhören, miteinander hören.

STANDARD: Wolfgang Rihm ist begeistert, wie stimmig Ihnen die Konzeption des Kontinents Rihm gelungen ist.

Hinterhäuser: Ich bewundere ihn sehr. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, diese Gespräche waren mir ungeheuer wichtig - nicht so sehr in der Frage der Zusammenstellung der Konzertzyklen, sondern im Sinne einer Inspiration: Ich wollte ihn erleben, wie er über Musik nachdenkt. Rihm ist ein großer Vor- und Nachdenker über Musik. Er ist ein solch unbeschreibliches Kraftwerk. Mit ihm über Musik, über Literatur, Malerei, Alltägliches zu sprechen ist faszinierend. All dies ergibt für mich einen Zugang zu einem Komponisten, zu einer Erscheinung. Wie ich dann die Programmierung vornehme, ist subjektiv. Jemand anderer würde es sicher anders machen - ich würde ihn nächstes Jahr auch wieder anders sehen.

STANDARD: Und wie haben Sie es heuer gemacht?

Hinterhäuser: Rihm ist im besten Sinn eingebettet in die Tradition, ein Idealfall, um eine Art Musiklandschaft zu kreieren: Wo kommt etwas her? Wohin führt es? Welche Tore werden geöffnet? Rihm hat beispielsweise eine starke Affinität zu Schumann. Schumann und Chopin, der auch sehr bedacht wurde in dem Sommer, haben sehr viel miteinander zu tun. Und, wenn ich das mit einem wunderbaren Gedanken aus einem Heine-Gedicht sagen darf: "Der andere lockige Hauptgedanke" ist Brahms. Brahms und Schumann ist mehr als evident.

STANDARD: Heuer ist der Tod sehr präsent im Konzertprogramm.

Hinterhäuser: Ich bin sehr gefesselt von Musik, die einen anderen Urgrund hat als, sagen wir, Gelegenheitskompositionen. Ich bin angezogen von Musik mit einer metaphysischen Komponente. Die eine ungeheure Dringlichkeit in sich hat.

STANDARD: Musik, sagt Wolfgang Rihm, macht Vergänglichkeit bewusst. Sehen Sie das auch so?

Hinterhäuser: Musik - nicht die gedruckte Partitur, aber das, woraus Musik besteht, der Klang - ist vergänglich. Er entsteht und vergeht und wird nie wieder in der gleichen Weise herstellbar und hörbar sein.

STANDARD: Macht Sie das traurig?

Hinterhäuser: Nein, ich finde das sehr schön. Weil es eine große Qualität und Aufmerksamkeit für den Augenblick formuliert. Das kann auch keine Aufnahme relativieren. Jeder große Interpret wird einen halben Tag später ein Werk in Nuancen anders spielen. Das ist nicht traurig, sondern sehr tröstlich: Dass nicht alles im Leben Parametern der Wiederholbarkeit folgt.

STANDARD: Flimm hat im Interview durchblicken lassen, dass er zuletzt nicht mehr sehr glücklich war bei den und mit den Festspielen. Wie sehen Sie seine Intendanz?

Hinterhäuser: Ich glaube, dass wir gemeinsam einige sehr schöne und künstlerisch wichtige Dinge gemacht und atmosphärisch - auch - eine schöne Zeit gehabt haben. Es gab Schwierigkeiten und Konflikte. Aber ohne es dümmlich zu relativieren: Die gibt es überall.

STANDARD: Pierre Audi, der - wie Sie - Kandidat für die Intendanz war, vermisst Innovationen in Salzburg. Was sollte ein Festival diesbezüglich leisten?

Hinterhäuser: Ich glaube, dass die Festspiele zunächst einmal eine Haltung formulieren, eine Temperatur erzeugen müssen. Eine Temperatur des Außerordentlichen. Dass man das nicht in 180 Veranstaltungen durchhalten kann, ist klar. Aber man muss für die Kunst ein Klima der Reflexion, der Auseinandersetzung erzeugen. Man muss den Anspruch stellen, dass hier Dinge passieren, die sich vom Ganzjahresbetrieb unterscheiden.

STANDARD: Sie sind nächstes Jahr Interimsintendant und gleichzeitig ist es Ihr letztes Jahr als Musikchef. Wer wird 2011 dem Kontinent den Namen geben?

Hinterhäuser:Es wird keinen Komponisten geben, dem ich einen Kontinent widme. Aber einige Komponisten und Interpreten, die mir sehr wichtig sind und die für die Festspiele bereichernd waren, möchte ich zu einem fünften Kontinent versammeln. Ich beginne nächstes Jahr mit jenem Stück, mit dem ich vor 18 Jahren mein Coming-out als Musikveranstalter hatte, mit Luigi Nonos Prometeus. Das letzte Konzert wird in völliger Dunkelheit gespielt. Und danach ist es halt aus.

STANDARD: Sind Sie traurig, dass nächstes Jahr Ihr - zumindest vorderhand - letztes bei den Salzburger Festspielen ist?

Hinterhäuser: Ja. Ich empfinde es als ein Privileg, bei den und für die Festspiele zu arbeiten. Die Vorstellung, nichts mehr mit ihnen zu tun zu haben, ist nicht leicht.

STANDARD: Wissen Sie schon, was Sie danach machen werden?

Hinterhäuser: Nein, weiß ich nicht. Aber das Leben hat mehr Fantasie als ich. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 17. August 2010)