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Das Baby streckt den Rumpf durch und zieht die Beine instinktiv an.

Als Vincent drei Wochen alt war, begann der Terror. Er schrie und schrie und war durch nichts zu beruhigen. Weder Herumtragen, noch sanftes Schaukeln oder halbstündliches Stillen zeigte sich erfolgreich. Das Schreien war heftig und unstillbar. „Ich war ein Zombie. Um ein Uhr früh begann er zu schreien und erst gegen fünf Uhr morgens hörte er damit auf, wenn ihm vor Erschöpfung die Augen zufielen", erzählt seine Mutter. Ein Check beim Kinderarzt verriet: Der Kleine war vollkommen gesund und gedieh prächtig. Das Phänomen hinter der quälenden Symptomatik: Dreimonatskoliken.

Alle Babys schreien dann und wann, um ihren Befindlichkeiten und Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Eine tägliche Schreidauer von bis zu einer Stunde gilt dabei als völlig normal. Jeder achte bis zehnte Säugling schreit jedoch ungewöhnlich viel mehr, ohne erklärbare Ursache und besonders häufig in den frühen Abendstunden. "Schreibabys" werden diese Kinder genannt, Dreimonatskoliken stecken häufig dahinter. 

Der amerikanische Kinderarzt Moris Wessel definierte 1954 erstmals eine Dreierregel für „exzessives Schreien im Säuglingsalter": Anfälle von Reizbarkeit, Aufregung und Schreien über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen, an mindestens drei Tagen pro Woche, über mehr als drei Stunden pro Tag. Während der Schreiepisoden ist der Bauch des Säuglings aufgetrieben, der Rumpf nach hinten überstreckt und die Beine angezogen - ein Verhalten mit dem das Baby instinktiv versucht Entlastung zu finden.

Gründe für Beschwerden unklar

Vincent erfüllte die „Wessel-Kriterien" in allen Punkten. Angeblich sind Buben häufiger von der Dreimonatskolik betroffen. Warum das so ist und wie es zu den Symptomen kommt, wissen auch Experten nicht befriedigend zu beantworten. Die Vermutung steht im Raum, dass Koliken durch das rasche Wachstum des Säuglings entstehen. Von der Geburt bis zum Ende des ersten Lebensjahres verdreifacht das Baby in der Regel sein Geburtsgewicht, die Organfunktionen sind unausgereift, der Magen-Darm-Trakt des Kindes wird seiner Aufgabe noch nicht ausreichend gerecht.

Fakt ist: Im Darm dieser Säuglingen befindet sich eine Menge Gas. Ob ein Baby jedoch während der Mahlzeit einfach zu viel Luft schluckt oder aber manche Kinder mehr Darmgase produzieren ist unklar. Genauso wenig ist bekannt, ob diese Ansammlung von Gasen tatsächlich für die Bauchkrämpfe verantwortlich ist. Möglicherweise rufen auch verstärkte Bewegungen des kindlichen Darms die schmerzhaften Koliken hervor. Über eine eventuelle Lactose-Unverträglichkeit wird als Ursache für das Phänomen ebenfalls diskutiert.

Alles wird wieder gut

Beruhigend ist einzig der Gedanke, dass das Kind gesund ist, sofern andere Erkrankungen im Vorfeld ausgeschlossen wurden. Eine Belastung für Eltern wie Kinder sind Dreimonatskoliken aber allemal und selbst das Wissen darüber, dass die Probleme in aller Regel nach drei bis fünf  Monaten von selbst wieder verschwinden, ist in diesem Zeitraum ein schwacher Trost

Um die Familien von ihren Qualen zu erlösen finden sich eine Reihe von Ratschlägen und therapeutischen Alternativen in diversen Ratgebern und Internet-Portalen, die sich nach dem trial and error Modell mehr oder weniger hilfreich erweisen. Neben der Anwendung bestimmter Massagetechniken, der Verabreichung von beruhigendem Fencheltee, der Einhaltung bestimmter Stillpositionen, kann sich auch der Versuch das Kind mit Geräuschen abzulenken mitunter lohnen. Wenn das alles nicht hilft, bringt vielleicht ein wärmendes Kirschkernkissen auf dem Bauch den gewünschten Erfolg, oder aber ein Fieberthermometer vorsichtig in den Anus eingeführt, reduziert die drückende Gasansammlung. Der stillenden Mutter wird unter anderem empfohlen fortan auf den Genuss blähender Lebensmittel zu verzichten und darauf zu hoffen, dass sich die ersten drei Monate nicht länger wie drei Jahre anfühlen. (derStandard.at, 31.8.2010)