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Namensgeber der Wohnhausanlage war der Philosoph, Journalist und kommunistische Theoretiker Karl Marx (1818-1883). Seine politischen Schriften
prägten auch die Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts.

Architekt Karl Ehn (1884-1959) studierte von 1904 bis 1907 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Otto Wagner. Er trat 1908 in den Dienst des Wiener Stadtbauamts ein und blieb der Stadtverwaltung bis in die Fünfziger Jahre treu. Vor dem Ersten Weltkrieg errichtete er vor allem Nutzbauten, in den 1920er- und
1930er-Jahren entstanden aber auch zahlreiche Wohnhausanlagen nach seinen Entwürfen, darunter der Karl-Marx-Hof als sein zweifellos prominentestes Bauwerk. Typisch für seine Architektur sind plastisch durchgebildete Baukörper mit plakativen Details.

Foto: APA/Gindl

Wien - Einer der bekanntesten Wohnbauten aus der Ära des "Roten Wien" feiert Geburtstag: der Karl-Marx-Hof in Döbling. Geplant von Karl Ehn, einem Schüler Otto Wagners, wurde 1927 mit der Errichtung des monumentalen "Superblock" begonnen. Im Herbst 1930 - genau am 12. Oktober - folgte die feierliche Eröffnung des ersten von drei Bauabschnitten durch Bürgermeister Karl Seitz. "Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen", so die berühmt gewordenen Worte Seitz'. Der letzte Bauteil wurde erst im Sommer 1933 fertig.

Warnungen vor dem "Riesenbau"

Vorausgegangen war diesem Ereignis eine jahrelange Kampagne, in der die Bevölkerung vor der angeblichen Einsturzgefahr des "Riesenbaus in der Heiligenstädterstraße" gewarnt worden war. Zu den Eröffnungsfeierlichkeiten kamen schließlich nicht nur die neuen Bewohner des Karl-Marx-Hofes, sondern auch zehntausende Menschen aus allen Bezirken Wiens. Seitz gab in seiner Rede seinem "aufrichtigen Bedauern" Ausdruck, dass nun "vierzehnhundert Wiener Familien" gezwungen wären, "in einem Bau einzuziehen, der von Rechts wegen zusammengestürzt sein sollte."

Paradoxerweise war es aber schon wenig später der austrofaschistische "Ständestaat", der zur ärgsten Bedrohung des Karl-Marx-Hofs während seiner ganzen Geschichte werden sollte. Weil die Wohnanlage im Februar 1934 ein Zentrum des Widerstandes gegen das Dollfuß-Regime war, versuchte die Polizei am 12. Februar - dem Beginn des dreitägigen Bürgerkriegs - zunächst vergeblich, die Anlage zu besetzen. Einen Tag später wurden um ein Uhr früh erste Artilleriegeschosse auf den Wohnbau abgefeuert, wenig später gefolgt von systematischem Beschuss und schließlich dem Sturm auf den Karl-Marx-Hof unter Einsatz von Maschinengewehren. Am Vormittag des 15. Februar mussten die Verteidiger aus den Reihen des republikanischen Schutzbunds ihren Widerstand aufgeben. Bei den Kämpfen kamen mehrere Arbeiter zu Tode, der örtliche Anführer des Schutzbunds wurde hingerichtet.

Noch im Februar wurde der Karl-Marx-Hof in "Biedermannhof" umbenannt, nach dem Anführer der ständestaatlichen "Heimwehr". Später bekam er den offiziellen Namen "Heiligenstädter Hof". Diesen Namen trug der Karl-Marx-Hof auch während des NS-Regimes. Die Nazis vertrieben 1938/39 66 Familien aus religiösen oder "rassischen" Gründen aus der Wohnhausanlage.

Seit 1945 trägt der Karl-Marx-Hof wieder seinen ursprünglichen Namen. Von 1988 bis 1992 wurde eine Sockelsanierung durchgeführt. Fassade, Fenster und Türen wurden erneuert, außerdem 50 neue Aufzüge eingebaut und die gesamte Anlage an die Fernwärme Wien angeschlossen.

Wohnraum für 5.000 Menschen

Der Karl-Marx-Hof bot mit seinen 1.382 Wohnungen (heute sind es noch 1.272) Wohnraum für etwa 5.000 Menschen. Außerdem wurden hier auch zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen geschaffen, u.a. zwei Zentralwäschereien mit 62 Waschständen, zwei Bäder mit 20 Wannen und 30 Brausen, zwei Kindergärten, eine Mutterberatungsstelle, ein Jugendheim, eine Bibliothek, eine Zahnklinik, eine Krankenkassenstelle mit Ambulatorium, eine Apotheke, ein Postamt, mehrere Arztpraxen, Kaffeehäuser, Räumlichkeiten für politische Organisationen und 25 Geschäftslokale. (map, derStandard.at, 7.9.2010)