"Frühlings Erwachen" in Linz: Die Kinder "ertränken" ihre unbeantworteten Fragen in Partys.

Foto: Landestheater

Linz - Einen Tabubruch stellt Wedekinds Kindertragödie von einst nicht mehr da, Pubertät bleibt aber ein virulentes Thema. Und so liefern sexuelle Entdeckungen und der Zweifel am Leben bis heute Theaterstoff. Nuran David Çalis hat 2007 Wedekinds "Frühlings Erwachen" für das Theater Hannover Richtung Gegenwart umbearbeitet und mit jungen Lebenswelten von heute assoziiert.

Auf dieser Basis operiert Regisseur Holger Schober, der an den Kammerspielen das Geschehen rund um ein Schwimmbecken ansiedelt. Am Pool ist Party angesagt: Der schüchterne Moritz (Ralf Wegner) verschwindet hier in der feiernden Menge, sein Freund Melchior (Bastian Dulisch) gibt den Partykönig. In Sachen Sex sind Moritz und vor allem die Mädchen Nichtschwimmer: Die neugierige, aber unerfahrene Wendla (Katharina Wawrik) wird von Melchior schwanger werden. Bei Wedekind stirbt sie bei der Abtreibung, hier entstehen die Konflikte, da sie das Kind bekommen will.

Damit sind sowohl die Mutter (Katharina Vötter) als auch der junge Liebhaber überfordert. Unaussprechlich bleibt hier so manches. Die vom Vater geprügelte Martha (Elisabeth Hütter) erzählt nur ihrer Handykamera, was sie sich aus ihrer Jugend merken möchte und was nicht.
Den Liebesantrag, den Moritz der lebenslustigen Ilse (Katharina Halus als vermeintlich abgebrühter Vamp) macht, borgt man sich dann wieder von Wedekind: "Lass uns mit dem Feuer spielen, mit dem tollen Liebesfeuer .. .". Ein Feuer, das in Moritz brennt, aber nicht nach außen lodern darf. Sein Verlangen nach prallem Leben bleibt unerwidert, er erschießt sich.

Der gesellschaftliche Zynismus der Vorlage, Wedekinds Kritik an der bürgerlichen Sexualmoral des ausgehenden 19. Jahrhunderts, macht hier der großen Ratlosigkeit der Eltern Platz. Die Kinder ertränken ihre unbeantworteten Fragen in reichlich Party, die auch inszenatorisch überhandnimmt. Das reizvolle Aufeinandertreffen von Wedekind'schen Dialogfragmenten und Jugendjargon wird im Lauf des Abends zusehends von Musikzitaten übertönt. Das famose Ensemble muss sich leider auch durch die Tragödie singen, von HipHop über Reinhard May bis zum finalen Hallelujah nach Cohen. (Wolfgang Schmutz / DER STANDARD, Printausgabe, 5.10.2010)