Am Ende sind alle klatschnass: "Das Werk / Im Bus / Ein Sturz" in Köln, mit Krzysztof Raczkowski, Kathrin Wehlisch (vorn).

Foto: Klaus Lefebvre

"Das Werk / Im Bus / Ein Sturz" als Demonstration gegen politische Verantwortungslosigkeit.

Et kütt wie et kütt und es kommt gewaltig: aus allen Rohren, mitten rein ins Loch. Die hat es ja nicht anders gewollt, die dumme Erde, die da auf der Bürobaustelle zwischen Schutt, Akten und Laptops nackt und dreckig herumtappst wie der erste Mensch. Was hat sie denn da auch zu suchen im leeren Götterhimmel? Im Reich der Verwaltung und der Baukonzerne? Dem Wasser, dem gierig, geilen will sie sich hingeben, die dumme Erde? Im Takt der Pumpen, die da saugen, ächzen und stöhnen? Also, bitte: Wasser Marsch!

Land unter auf der aufgerissenen Bühne des Kölner Schauspielhaus. Kurz sieht es aus, als würde der Riphahn-Bau selbst mit fortgerissen. Hinein in den Kölner Sumpf, wo sie im Trüben nach Akten fischen und bereits ein "lecker Haus" und "zwei Stück Tote" auf der Verlustliste führen. Alles nur Spiel an diesem Abend. Aber was für eines: eine Phantasmagorie, gezeugt aus den Wortkaskaden der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Intendantin Karin Beier selbst führt Regie. Krysztof Raczkowksi in Gestalt des Wassers und Kathrin Wehlisch als Erde tanzen einen furiosen Pas des deux im er-saufenden Baustellengrab und befriedigen lustvoll die sadomasochistischen Fantasien, mit denen sie der Chor der Kostüm- und Anzugträger aufeinanderhetzt.

Ein Sturz heißt der Epilog, den Elfriede Jelinek für diesen Abend neu gedichtet hat. Die dramaturgisch logische Konsequenz aus ihrem Stück Das Werk, uraufgeführt 2003 in Wien, und Im Bus, einem bisher ungespielten Text über den Baustellensturz eines Münchner Linienbusses, die Beier beide vor die Pause setzt. Ein mythologisch aufgeladenes Satyrspiel mit Papphütchen und Masken, wie es im antiken Dramen-Agon auf die Katstrophe folgt. Offensichtlich die einzig angemessene Form, um zu verarbeiten, was da in dieser Stadt geschehen ist, als sie mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs ihr Gedächtnis verloren hat.

Die Erotik des Wassers

Da bereitet sich nun in den österreichischen Alpen vor, was in Köln zum furiosen Abschluss kommt. Ein gewaltiger Akt der Verdrängung, der dafür sorgt, dass die heimliche Hauptprotagonistin dieses Abends nicht auftritt. Von der Denkfigur der Verantwortung nämlich will keiner etwas wissen: nicht in Kaprun, wo ein Heer von Heidis und Peters mit unzähligen Zwangsarbeiterleichen im Keller mit faustischem Eifer die Erotik von Wasser in Plastikflaschen erforscht; nicht in München-Trudering, wo ein karnevaleskes Transen-Trio dem Hades entsteigt. Und schon gar nicht in Köln, wo man sich als Opfer höherer Gewalt erlebt: "Da muss keiner die Hand heben. Das ist unser Baulos. Na, diesen Bau sind wir los! Weg mit ihm!"

Die Bühne ist schwarz und tief, ein unendlicher Projektionsraum, durch den die Schauspieler einmal als Conferenciers, einmal als virtuose Textdarsteller zwischen Schreibtischen und Bauschutt mitten hinein ins kollektive Unbewusste und ins Jenseits führen. Immer wieder geht es bereits vor ihrem finalen orgiastischen Auftritt um die geschändete Erde und das mitreißende Wasser. Und immer wieder versuchen sie sich an der Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, der Jelineks Textgebirge in jeder Phrase durchzieht und Regisseurin Beier mit wunderbaren Sprechchören und einem gespenstisch gedämpften Streicher-Trio als geniales Strukturelement dient.

Am Ende, nachdem sich die verdrängte Schuld in der Vereinigungsfantasie der Naturgewalten im "Sturz" entladen hat, herrscht beklemmende Stille. Das Wasser steht kniehoch, die großartigen Schauspieler sind klatschnass, der Presslufthammer schweigt. Es waren stehende Ovationen für einen gelungenen Theaterabend, als sich das Publikum in Köln erhob. Doch es war auch eine Demonstration gegen die immer wieder auf den politischen Bühnen schamlos in Szene gesetzte Verantwortungslosigkeit. (Marion Ammicht, DER STANDARD – Printausgabe, 3. November 2010)