Andrea Bolds "Sättigungs-beilage" im Wiener Tanzquartier: Mit Radek Hewelt, Martin Tomann, Satu Herrala.

Foto: Miguel Angel Gaspar

Ein Wochenende mit österreichischem Tanz in Wien: Andrea Bold zeigt im Tanzquartier ihre neue Arbeit "Sättigungsbeilage", die junge Choreografin Valerie Oberleithner präsentiert im WUK "Splendid Isolation".

Wien - Ein Huhn fragt: "Warum schauen die mich alle an?" Zur Beantwortung dieser Frage werden von dem Erzähler Radek Hewelt die großen Geister der Tanzgeschichte angerufen: Isadora, Merce, Pina. Und vor dem geistigen Auge des Zuschauers erscheinen sie dann auch, Duncan, Cunningham und Bausch. So beginnt Sättigungsbeilage der Choreografin Andrea Bold im Tanzquartier.

Drei Tänzer - neben Hewelt sind das Martin Tomann und Satu Herrala - loten mit Witz und Esprit die Formen jener Bewegungen aus, die im engeren Sinn unter die Kategorie "Tanzen" fallen. Doch die Sättigungsbeilage ist weniger eine Selbstvergewisserungsübung der Kunstform Tanz geworden als eine Kritik des Tanzens selbst. Kritik im positiven Sinn: Man macht sich nicht über das Tanzen lustig, sondern sucht nach Bedingungen, unter denen Tanz zu einer attraktiven Angelegenheit auf der Bühne wird.

Das wunderbare Trio bleibt dabei bemerkenswert cool. Es nimmt seinen Tanzstoff durch, bleibt aber distanziert zu dessen virtuosen Verlockungen. Wohl fühlt es sich in Gefahrenzonen, wie sie von Herrala einmal in einer gesprochenen Passage umrissen werden. Darin geht es um "Twin Towers in Arizona, die sich an der Schwerkraft erfreuen". Das ist keinesfalls zynisch, sondern ein poetischer Perspektivwechsel.

Die Antwort auf die Frage des Huhns kennt der Wind, der im Stück zarte Plastiksäckchen zum Tanzen bringt, wohl in Anspielung auf die berühmte Szene mit dem gleichen gespenstisch-zauberhaften Motiv in dem Film American Beauty.

Mit einer metaphorischen Geisterbeschwörung führte auch die junge Choreografin Valerie Oberleithner durch ihr Stück Splendid Isolation im Wuk. Auf ihrer Bühne spukt es effektvoll: um die Tänzerin tanzen all die Gespenster, deren Arbeit ein Kunstwerk zustande bringt.

Daher werden im Programm auch "Ghost curators" angeführt. Über das Gesicht der Tänzerin Oberleithner huschen wiedergängerische Mienenspiele. Das Gespenst des Expressionismus taucht genauso auf wie der Poltergeist der Pantomime und das Gerippe des Theaters. Und Olivier Tirmarche und Henri Emmanuel Doublier von Superamas sorgen für unheimliche Sound- und Lichteffekte. In dieser eigenwilligen, ironischen Arbeit spiegelt sich das Vergnügen, im Tanz ein weites Spielfeld nutzen zu können, auf dem jeder Egotrip letztlich ins Abseits führt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 15. November 2010)