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Das symbolisch letzte Hemd haben unzählige Deutsche bei einer Protestaktion in Berlin aufgehängt.

Foto: APA/Tim Brakemeier

Die Nachrichten sind überaus erfreulich: Neue Daten vom Arbeitsmarkt belegen, wie gut Österreich durch die Krise kommt. Weil die Konjunktur wieder anzieht, suchen UnternehmerInnen Arbeitskräfte, und die Zahl der Erwerbstätigen steigt. PolitikerInnen werden nicht müde zu betonen, wie gut Österreich im europäischen Vergleich da steht. Keine/r der PolitikerInnen jedoch fragt danach, in welchen Beschäftigungsverhältnissen sich Erwerbstätige befinden.

Schon eher ist da inflationär die Rede von den Ich-AGs. UnternehmerInnen werden dabei zum Leitbild der zeitgenössischen Subjektivität. Der Mensch wird zum Shareholder seines individuellen Humankapitals, der/die in aller Freiheit, aber auch bei vollem Geschäftsrisiko das Leben managt. Der Aufruf, zur UnternehmerIn des eigenen Arbeitslebens zu werden, findet sich in veränderten Formen der Betriebsorganisationen ebenso wie in den Steuerungsmodellen der öffentlichen Verwaltung, in politischen Leitbildern, Fördermaßnahmen für Arbeitslose oder den Curricula von Schulen und Universitäten.

Trennendes und Verbindendes

Eine jüngst veröffentlichte Studie besagt, dass mehr als 20 Prozent der ArbeitnehmerInnen sogenannte prekär Beschäftigte sind. Unter diesem Deckmantel befinden sich aber sowohl geringfügig Beschäftigte, ArbeitnehmerInnen mit Kettenverträgen, LeiharbeiterInnen, sogenannte Working-poor, Teilzeitkräfte, Arbeit unter Werkvertrag und die wachsende Kategorie der Freien DienstnehmerInnen. Daher müsste diese Zahl nach oben korrigiert werden. Diese Beschäftigungsverhältnisse finden sich inzwischen beinahe in allen Branchen. Gemein ist allen, dass sie sozial- und arbeitsrechtlich schlecht abgedeckt sind und/oder langfristige Lebensplanung kaum möglich ist. Auch wenn es Bestrebungen gibt, diese Erwerbstätigen gewerkschaftlich zu organisieren, gelingt das durch die Atomisierung dieser Beschäftigten und deren individuell getragenen Risiken kaum.

Das ist aber kein spezifisch österreichisches Phänomen. In Frankreich werden sie "Génération précaire", in Italien "Generazione 1000 Euro" benannt. SpanerierInnen in dieser Generation - mit den Geburtsgängen von 1965 bis 1985 datiert - werden als "Mileuristas" bezeichnet (von mil euros). In Österreich spricht man über das "Prekariat". Dass eine Generation junger AkademikerInnen in der beruflichen Warteschleife steht, dafür scheint es hierzulande kein Bewusstsein zu geben, zumal es auch keinen Begriff dafür gibt. Trotz zunehmend guter Ausbildung gibt es für sehr viele dieser Generation statt einer festen Anstellung zunächst einmal Praktika. PraktikantInnen werden hemmungslos als reguläre und (meist) unbezahlte Arbeitskräfte ausgebeutet. Nach dem Praktikum reiht sich entweder ein Kettenvertrag nach dem nächsten oder man "schafft" es als Freie DienstnehmerIn mit begrenzt, wenigen Wochenstunden und jämmerlichen Stundenlöhnen. Sie haben mindestens Lohn - von Mindestlöhnen kann keine Rede sein. Andere sind nach wie vor auf der Suche nach einer "sinnvollen" Beschäftigung, ihren Qualifikationen und Qualitäten entsprechend.

BilliglöhnerInnen und BittstellerInnen

Die Phase, bis ein/e UniversitätsabsolventIn im Berufsleben ankam, dauerte vor zwei bis drei Dekaden rund zwei Jahre. Eine gute Ausbildung war der Garant für einen sicheren Arbeitsplatz. Heute ist diese Zeit auf fünf bis zehn Jahre angestiegen. Trotz guter Ausbildung werden die meisten der "Génération précaire" mit Billiglöhnen als BittstellerInnen hingehalten. Wer überhaupt eine Chance haben möchte, ist 24 Stunden in Bereitschaft und immer in Bewegung.

Neu ist das nicht. Jedes Lohnarbeitsverhältnis kann aufgelöst werden, oder auch dort können die Bedingungen nicht ausreichen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Neu daran ist, dass die Lohnarbeit an das unternehmerische Marktrisiko gekoppelt ist. Was einst unter kollektivem Risiko subsumiert wurde, wird zum individuellen Risiko. In der hoch qualifizierten Dienstleistungsbranche, dient die Ich-AG der reinen Kostensenkung, in anderen Branchen wiederum werden flexible Arbeitsverhältnisse zum Ausgleich der Konjunkturschwankungen benutzt. Die neue Arbeitsmarktpolitik destrukturiert die Erwerbssphäre und macht für viele, als BittstellerInnen, ein Dasein ohne permanente Existenzängste un- oder nur schwer möglich. (Sandra Ernst-Kaiser, dieStandard.at 16.11.2010)