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Foto: AP/Khan

Jetzt also Irland. Was wissen wir über Irland? In Irland gibt es keine Schlangen. Deshalb streichen die Iren an einem bestimmten Tag im Jahr alles, was sie haben, grün an und trinken Bier, das aussieht wie Cola mit Milchschaum. Und die Iren haben Humor. In der Provinzstadt Kilkenny, für viele - warum auch immer - angeblich "die wahre Hauptstadt des Landes", fanden nämlich jüngst die so genannten "Kilkenomics" statt. Dabei zogen sich Ökonomen und Komiker gegenseitig kräftig durch das Guinness und machten gemäß einem bekannten Zitat von Paul Watzlawick klar, wie die Lage des Landes ist: hoffnungslos, aber nicht ernst. "Irland braucht eine neue Ratingagentur: Moody & Poor" (Anm.: "mürrisch und arm") - dieser Witz des IT-Beraters und Komikers Colm O'Regan wird uns aus Kilkenny überliefert.

Daran lässt sich erkennen, dass Irland natürlich auch das Land der Dichter ist; James Joyce, William Butler Yeats, George Bernard Shaw - um nur ein paar der berühmtesten zu nennen. Die schön regelmäßige Abfolge wirtschaftlicher Boomzeiten und ebenso trau- wie dramatischer Hungersnöte scheint ein besonders guter Gär-Boden für Literatur zu sein. Vor allem an dem Zyniker Shaw und dessen berühmtem Spruch "Meine Art zu scherzen ist es, die Wahrheit zu sagen. Das ist immer noch der spaßigste Witz der Welt" scheinen sich die O'Regans von Kilkenny in ihrer Mords-Gaudi orientiert zu haben.

Dass es aber ein anderer irischer Schriftsteller ist, der die Krise am besten erklärt, das scheinen die Iren in all ihrer Kilkenny- und Guinness-Seligkeit nicht sehen zu wollen. Samuel Beckett, der Meister der absurden Komik, beginnt seine Kurzprosa "Das Ende" folgendermaßen: "Sie kleideten mich und gaben mir Geld. Ich wußte, wozu das Geld dienen sollte, es sollte dazu dienen, mir auf die Beine zu helfen." Die Kleider des Ich-Erzählers stammen von einem Toten, er wird darin aus einer öffentlichen Anstalt entlassen. "Ich sagte, sie hätten mich in meinem Bett lassen können, bis zum letzten Moment." - Wer liest da nicht schon die gesamte Tragik der Grünen Insel heraus? Das verzweifelte Stemmen gegen die EU-Gelder, das selbstlos-besonnene Beharren darauf, sich selbst aus der Scheiße ziehen zu können? Geschenkt, es nützt den Iren nichts. "Es kamen Männer in Kitteln herein, mit Hämmern in den Händen. Sie nahmen das Bett auseinander und trugen die Teile fort."

Das Geld hat der bedauernswerte Tölpel zuvor eingesteckt. "Die Summe war nicht groß, aber mir kam sie groß vor." Dem Mann, der es ihm aushändigte, ist er dankbar, er fragt aber, warum er das tat: "Gibt es ein Gesetz, das Sie hindert, mich auf die Straße zu werfen, nackt und mittellos? Es würde uns schaden, auf die Dauer, antwortete er."

Beckett, der mit aufgedrängtem Geld ebenfalls seine Erfahrungen machte - als Literatur-Nobelpreisträger von 1969 pfiff er auf die Preisverleihung -, hat schon damals durchschaut, dass die EU-Finanzminister den Iren nur deshalb helfen, um sich selbst zu retten. Und er ahnt in der kurzen Erzählung auch schon, dass die Staatsgarantie für die irischen Banken in Höhe von 485 Milliarden Euro einst der Todesstoß für das Land sein würde. Als der Protagonist nämlich Unterschlupf in einem Keller gefunden hat, bittet ihn die Vermieterin eines Tages um einen Miet-Vorschuss auf die nächsten sechs Monate. Er willigt ein. Am nächsten Morgen ist die Frau verschwunden und ein fremder Mann wirft ihn aus dem Keller.

Die Geschichte endet damit, dass er in einem verlassenen Schuppen einen alten Kahn entdeckt. Und in dem treibt er schließlich aufs offene Meer hinaus - noch nicht ganz, aber immerhin schon halb tot. "Das Ende" bleibt damit natürlich offen - denn es ist doch denkbar, dass er an freundliches Ufer gerät und nochmals davonkommt. Aber recht gut stehen die Chancen dafür nicht. Denn er hat ein Loch im Boot und ein Beruhigungsmittel im Bauch. (Martin Putschögl, derStandard.at, 19.11.2010)