Klang-Ekstasen: Anne Juren und Eun Kyung Lee (liegend) im Wiener Tanzquartier.

Foto: Titze

 

Wien - Das ORF-Radio-Symphonieorchester (RSO) hat tanzen gelernt. Dieser wunderbare Klangkörper mag Werke moderner und selten gespielter Komponisten und ist damit ein spannender künstlerischer Partner für zeitgenössische Tänzer.

Im Tanzquartier Wien gibt es nun einen gemeinsamen Abend, der sperrig Pieces of movement for orchestra. Choreografien für Orchesterminiaturen heißt: das RSO unter Gottfried Rabl mit den herausragenden Wiener Choreografen Paul Wenninger, Anne Juren, Christine Gaigg und Chris Haring sowie der theatercombinat-Regisseurin Claudia Bosse.

Eine schöne, zugleich riskante Idee: Denn Auftragswerke wie dieses sind für Tanzschaffende zwar ein willkommener Zusatzverdienst für die notorisch unterdotierten Künstler, grenzen ihre Freiräume aber auch erheblich ein. Bei Pieces of movement ... fiel die Wahl des Veranstalters auf einige der professionellsten Vertreter der Wiener Choreografieszene. Sie sollten innerhalb des vorgegebenen Rahmens für unkonventionelle Performances sorgen.

Das tun sie auch brav, und das RSO macht willig mit. Die Musiker lassen sich auf ungewohnte darstellerische Abenteuer ein. Und die Autoren der 20 für den Abend ausgewählten Musikstücke zeigten sich offen gegenüber den unvermeidlichen Transformationen ihrer Originale.

Doch obwohl alle äußeren Anforderungen erfüllt scheinen, bleibt der Abend weitgehend unter seinem Potenzial. Denn es gibt darin keine inhaltliche Dynamik, keine gesellschaftliche Reibungsfläche, die ihn über seinen formalen Anspruch hinausheben würde. Auf den ihnen eigenen Diskursflächen bieten die Choreografen mehr oder weniger inspirierte Stücke an, die jedoch nur durch die Musik miteinander verbunden sind. Schön ist dabei die Durchmischung von Musikern und Publikum bei Claudia Bosse; witzig Paul Wenningers Idee, die Nebengeräusche des Musizierens in den Vordergrund zu stellen.

In der heutigen gesellschaftlichen Krise wirkt das aber zu mager. Der Abend hätte inhaltlich wilder, in seiner Form wesentlich widerständiger werden müssen. Es wird also Zeit, den Künstlern - und ihren Institutionen - mehr die Rücken zu stärken, damit sie undisziplinierter werden und schon morgen wieder kraftvoll zubeißen. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.1.2011)