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Foto: TQW / David Payr; Johannes Gellner

 

Wien - Als eine Art Double Feature junger österreichischer Choreografie zeigt das Tanzquartier zwei Arbeiten über Dinge, die trotz großer Anstrengungen klügster Köpfe bisher unfassbar geblieben sind: wie der Körper in der Gesellschaft funktioniert und wie die Gesellschaften der Zukunft aussehen werden. Um so zu tun, als wäre es sinnvoll, über das, was kommen könnte, herumzuspekulieren, braucht es indes neben viel Chuzpe und Fantasie auch einige Schnittmuster aus der Gegenwart und diverse Versatzstücke aus der Vergangenheit.

Und so bedient sich das neu gebildete Loose Collective (Alex Deutinger, Michael Dolan, Alexander Gottfarb, Marta Navaridas und Anna Maria Nowak) des ersten US-Musicals, The Black Crook (1866), um eine künstlerische Zeitreise ins Jahr 2110 zu unternehmen. Klar: Was unter dem Titel Here Comes the Crook - a contemporary dance musical gezeigt wird, bleibt eine als Zukunftsvision getarnte Gegenwartsdiagnose.

Die ewige Frage "Wohin gehe ich?" ist eng verwandt mit einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf das Hier und Jetzt: "Wo bin ich überhaupt?" Von dieser Verlorenheit handelt Michael O'Connors Solo You are the subject of my seeing. Ein einsamer junger Mann, verbannt in die Ecke eines Raumes. Ein Staubsauger. Ein Fleckchen Sand auf dem Boden. An eine Wand zeichnet er einen kahlen Baum. An die andere ist ein leeres Viereck gemalt, darüber steht: "Am I in control of the image being made of me" - kein Fragezeichen, kein Punkt.

Der philosophische Titel, der an die Wand geschriebene Satz und dazwischen O'Connors Körper, der sich einmal schrecklich abmüht, dann wieder in ironischen Windungen entspannt, machen ein Drama sichtbar: Jeder Blick wird durch äußere Einflüsse gesteuert, und, keine Frage, niemand kann kontrollieren, wie andere ihn wahrnehmen.

So gleitet der Choreograf durch den "Ego Tunnel", als den der deutsche Philosoph Thomas Metzinger aus neurowissenschaftlicher Perspektive die Konstruktion des Selbst und auch dessen inneren Körperbildes wahrnimmt.

Die Küchenphilosophie

O'Connors Stück enthält keine in Kunst herausgebackene Küchenphilosophie und ist auch ausgesprochen sorgfältig gearbeitet. In manchen Passagen verfängt es sich allerdings in gaghafter Manieriertheit, die sich wohl auch auf sichtbare Einflüsse der Künstlerkollegen Keith Hennessy und Ivo Dimchev zurückführen lässt, bei denen sich O'Connor im Programm explizit bedankt. (Helmut Ploebst/ DER STANDARD, Printausgabe, 11.2.2011)