Wien - Das blinde Geschehen, das neue Stück des gelehrten Dichters Botho Strauß, spielt mit der Einsicht, dass wir Menschen mit der Einführung der Netzkultur die iridischen Fesseln abgestreift haben.

Mit Blick auf Matthias Hartmanns Uraufführungsinzenierung im Wiener Burgtheater ließe sich am ehesten von einer verhuschten Versuchsanordnung sprechen: Ein Cyber-Zauberer namens John Porto (Robert Hunger-Bühler) wühlt aus seinem Laptop einen Schwarm von Geistern und Gestalten hervor. Unsichtbare Riesen stampfen dröhnend über die Bühne (Stéphane Laimé). Revue-Girls im Tutu trippeln geschäftig durch die ständig wechselnde Szenerie einer nicht näher bezeichneten Show.

Deren größter Vorteil ist zugleich ihr Handicap: Weil sie ein Laptop-Maniac als „Second Life" konzipiert hat, findet jede Szene quasi nur auf Widerruf statt. Ein Mann (Hunger-Bühler) will eine Frau (Dörte Lyssewski in wechselnden Kostümen) in seine Schattenwelt herüberziehen. Er gebärdet sich als Zauberer Prospero - aber sein Programmierspiel ruft zumeist nur zankende Paare auf den Plan. Ansonsten wird das Stück von ausgedachten Wesen bevölkert: von Figuren wie der "struppigen Sophie" (Christiane von Poelnitz) oder der "Schattin" (Regina Fritsch), deren Auftritte auf den ersten Blick zwar wenig Sinn machen, deren mythische Präsenz aber vom enormen Bildungsanspruch ihres Autors zeugen.

Leider hat sich Hartmann diesem doch stark nach Papier raschelnden Stück wie auf Zehenspitzen angenähert: Er lauscht hingerissen den Tiraden seiner bewährten Schauspieler, stört diese aber auch nicht weiter mit Interventionen, die eine Haltung, eine Lesart, einen bis zum Wahnwitz entschlossenen Zugriff erkennen ließen. Er hat, mit einem Wort, Das blinde Geschehen weitgehend sich selbst überlassen. An dieser überwiegend betrüblichen Einsicht ändern auch die schönen Video-Spielereien nichts, die diesmal sogar einen Hauch von Gestrigkeit verströmen. Der Applaus war enden wollend. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2011)