Sabine Seidlers Türschild: "Wir machen uns da unseren Spaß daraus."

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"Ich bin nicht die Quote."

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"Ich habe mit Studiengebühren ein Problem, ein massives. Hier in Österreich sehe ich das Thema immer verknüpft mit irgendwelchen politischen Debatten."

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Ab Herbst ist Sabine Seidler Rektorin der Technischen Universität in Wien. Ihre Bestellung hat für Aufsehen gesorgt, weil sie die erste Frau ist, die diesen Posten einnimmt. Nicht nur deshalb sagt die gebürtige Deutsche: "Ich habe vollstes Verständnis für Frauen, die sich gegen die Quote verwehren." Warum sie die neu eingeführte Online-Anmeldung für Erstsemestrige ablehnt, weshalb das Architekturstudium an der TU Wien doch nicht ausgesetzt wird, und warum sie es "schlimm" findet, dass der "Ansturm ausländischer Studierender" als Drohung dargestellt wird, erklärt die Werkstofftechnikerin im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wieso hängt an Ihrer Büro-Tür ein Schild mit der Aufschrift "Herrin der Lage"?

Seidler: Wir machen uns da unseren Spaß daraus. Eine Kollegin hat ein Schild, auf dem steht "Machtzentrale".

derStandard.at: Es könnte auch "Frau der Lage" heißen.

Seidler: Das Schild hab ich schon länger. Es hat nicht unbedingt was mit meiner Rolle als erste Frau, die an der TU Rektorin wird, zu tun.

derStandard.at: Sie reden da auch gar nicht so gerne darüber.

Seidler: Mir werden immer dieselben Fragen gestellt. Ich bin der Ansicht, dass es darum geht, den Job zu machen. Es ist aus meiner Sicht egal, wer den macht, Hauptsache er wird gut gemacht.

derStandard.at: Ist es nichts, worauf Sie stolz sind, dass sie als erste Frau voranschreiten?

Seidler: Ich bin stolz. Ich stelle immer meine Kompetenz in den Mittelpunkt, nicht mein Frau-sein.

derStandard.at: Würden Sie sich als Quotenfrau bezeichnen?

Seidler: In gewissem Sinne ja. Und auch wieder nein. Ich bin möglicherweise aufgrund der Quote an die TU gekommen. Ich weiß, dass ich nicht auf Platz eins auf der Liste stand. Warum die Entscheidung letztendlich gefallen ist, mit mir zu verhandeln und mit niemand anderem sonst, ist mir nicht bekannt.

Seitdem stehe ich in gewisser Art und Weise für die Quote. Ich werde immer damit in Zusammenhang gebracht, aber das bin nicht ich. Ich bin nicht die Quote. Ich bin eine Wissenschaftlerin des Hauses, die sich engagiert, die sich in den letzten Jahren auch universitätspolitisch relativ stark engagiert hat. Deshalb sitze ich jetzt hier.

derStandard.at: Quotenfrau gilt für manche schon als Schimpfwort.

Seidler: Ist es ja auch. Wenn Sie als Frau erfolgreich sind, müssen Sie immer damit rechnen, dass irgendjemand behauptet, Sie haben diese Position nur deshalb bekommen, weil es eben diese Quote gibt. Es ist schwierig. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir dieses Selbstbewusstsein bekommen sollten, um zu sagen, wir haben diesen Job, weil wir gut sind. Für mich nehme ich das einfach in Anspruch.

derStandard.at: Stehen Sie über dieser Debatte?

Seidler: Nein, gar nicht. Ich habe vollstes Verständnis für Frauen, die sich gegen die Quote verwehren. Ich kann aus eigener Erfahrung – auch durch den Umgang mit den Medien in den letzten Monaten und wegen der Fragen, die mir gestellt wurden – sagen, dass ich das sehr deutlich zu spüren bekommen habe, was es eigentlich bedeutet. Für mich ist das Ganze aber deshalb positiv, weil es die TU in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hat. Wenn ich da als Frau etwas dazu beitragen kann, ist mir die Quote auch wieder egal.

derStandard.at: Auf der Uni Wien gibt es ab Herbst auch einen neuen Rektor, seine Bestellung ist fast untergegangen.

Seidler: Dem armen Herrn Engl hab ich vollkommen die Show gestohlen. Zumal wir auch am gleichen Tag gewählt wurden.

derStandard.at: Was war ausschlaggebend in Ihrer Karriere, dass Sie es bis an die Spitze einer Universität gebracht haben?

Seidler: Für meine Entwicklung als Wissenschaftlerin haben mehrere Dinge eine wesentliche Rolle gespielt. Das eine ist, dass ich ein Mensch bin, der sicherlich sehr zielstrebig ist. Wenn ich mir einmal etwas vornehme, setze ich auch alles daran, dieses Ziel zu erreichen. Man macht eine wissenschaftliche Karriere natürlich nicht im luftleeren Raum. Man braucht entsprechende Förderung, Betreuung. Die habe ich genießen können. Ich hatte einen Betreuer, der sich sehr für mich engagiert hat, auch unter relativ schwierigen Rahmenbedingungen.

Ich habe meine ganze Karriere mit zwei Kindern gemacht. Meine erste Tochter ist ein dreiviertel Jahr nachdem ich mit dem Studium fertig war geboren. Letztendlich hatte ich auch immer die moralische Unterstützung von meinem Mann.

derStandard.at: In einem Interview sagten Sie, es gilt nicht Frauen zu fördern, sondern das Umfeld. Was genau meinen Sie damit?

Seidler: Sie können hinschauen, wo sie wollen. Es gibt sehr viele exzellente Frauenförderprogramme. Wenn Sie sich anschauen, wie groß die Effizienz dieser Programme ist, dann ist das immer irgendwie enden wollend. Das hat in mir die Überzeugung hervorgerufen, dass man das Umfeld zunächst daran gewöhnen muss, dass Frauen wirklich exzellent sind. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass wir Frauen nach anderen Kriterien beurteilen als Männer und dass man sich als Mann in einem weiblichen Umfeld möglicherweise manchmal leichter tut als Frauen in einem männlichen Umfeld.

Es gilt sich vor Augen zu führen: Wie ist die Persönlichkeit? Was bringt sie für Leistungen? Was erwarten wir von ihr? Da muss bis zu einem gewissen Grade das Geschlecht hintan gestellt werden. Es geht ganz einfach darum, dass wir uns nicht nach dem Gewand richten sollten, sondern danach, was in der Frau steckt.

derStandard.at: Sie haben zwei Töchter, die mittlerweile erwachsen sind. Hat es nie Probleme gegeben, Kinder und Karriere unter einen Hut zu kriegen?

Seidler: Ich bin in der DDR aufgewachsen und da war Kinderbetreuung kein Thema. Wir hatten jede Unterstützung. Ich habe das außerordentlich zu schätzen gelernt. Es gab genügend Einrichtungen, die für einen minimalen Betrag zur Verfügung gestanden haben und wo die Kinder zumindest über acht Stunden am Tag außerordentlich gut und qualitativ hochwertig betreut wurden. Diese Normalität vermisse ich in Österreich. Als wir schon hier gelebt haben und unsere Kinder noch jünger waren, sind wir häufig mit relativ raschen Vorurteilen konfrontiert worden. Dass unsere Kinder asozial werden, weil wir berufstätig sind, usw.

derStandard.at: Beobachten Sie jüngere KollegInnen, die mit solchen Dingen zu kämpfen haben?

Seidler: Ja, ich sehe das als großes Problem. Wir haben an der TU nicht ausreichend Kindergartenplätze, aber wir bemühen uns darum. Es ist für wissenschaftliche Karrieren unendlich wichtig, dass es die Möglichkeit für junge Mütter gibt, partiell dabei zu bleiben. Gerade in der Schnelllebigkeit unserer Zeit. Der Aufwand, das wieder aufzuholen, was man während der Karenz versäumt, ist ein Kraftakt, der immens hoch ist.

derStandard.at: Wie lange waren Sie nach der Geburt zu Hause?

Seidler: Beim ersten Kind zwanzig Wochen, beim zweiten Kind eigentlich ein Jahr. Ich habe aber nach einem halben wieder zu arbeiten begonnen. Ich bin mit dem Kinderwagen auf die Uni gefahren, hatte zum Glück ein Kind, das alles mit sich machen ließ. Sie hat im Labor gestanden und zugeschaut, wie wir geschraubt, gebohrt und gehämmert haben.

derStandard.at: Bisher war Peter Skalicky Rektor der TU Wien. Er hat seine Stimme in der Öffentlichkeit lautstark erhoben, wenn es darum ging, Verbesserungen für seine Uni herbeizuführen. Was werden Sie ihm nachmachen?

Seidler: Er hat die TU als Forschungsuniversität positioniert und hat es geschafft, trotz schwieriger Zeiten immer das Haus bei nötigen Reformen "mitzunehmen". Es hat in seiner Zeit drei UG-Novellen gegeben. Die Umstellungen sind nicht leicht gewesen. Es gab mehrere Sparpakete und er hat es trotzdem geschafft, immer wieder die Solidarität im Haus abzurufen, wenn es notwendig geworden ist. Die TU ist ein Haus, wo man gerne arbeitet. Wenn es mir gelingt, das fortzuführen, bin ich zufrieden.

derStandard.at: Zuletzt drohte Skalicky provokant damit, dass das Architektur-Studium (1100 Bewerber für 500 Plätze) für ein bis zwei Jahre ausgesetzt wird. Gibt es diesbezüglich schon eine Entscheidung?

Seidler: Die Tendenz geht dahin, keinen Aufnahmestopp durchzuführen. (Mittlerweile wurde das auch offiziell verlautbart, Anm.) Bei Architektur und Raumplanung zusammen haben wir mehr als doppelt so viele Studierende als wir eigentlich verkraften. Bei Architektur müssen wir künstlerische Fähigkeiten abtesten. Das kann man nur bedingt in Massenveranstaltungen durchführen. Der Aufwand für die Lehrenden ist enorm. Die Rahmenbedingungen für die Studierenden schlecht.

derStandard.at: Die TU hat sich im Gegensatz zur Uni Wien entschieden, auf die für Erstsemestrige an sich verpflichtende Online-Anmeldung bis 31.8. zu verzichten. Warum eigentlich?

Seidler: Das Hauptargument bei der Voranmeldung ist die Planbarkeit. Die Planbarkeit wäre aber nur dann gegeben, wenn man sich für nur eine Studienrichtung anmelden kann. Das ist nicht so. Im Zusammenhang mit der verpflichtenden Beratung wäre die Voranmeldung eher sinnvoll gewesen. Nach einer solchen Beratung kann man sich schon eher vorstellen, ob die Studienrichtung passt oder nicht. Die Beratung gibt es heuer aber nicht, sie wurde ausgesetzt. Es ist also nur die eine Hälfte der Reform übrig geblieben, die weder eine Steuerung noch eine Programmatik hat.

Dazu kommt noch: Ich weiß sowieso, wo die Zahl der Studierenden zu hoch ist. Ich weiß, wo unsere Problemfelder liegen: Informatik, Architektur, Maschinenbau. Und zwischen 31.8. und 1.10. kann ich da keine Maßnahmen mehr ergreifen.

derStandard.at: Vielleicht wurde die Voranmeldung ja auch beschlossen um die Studierenden in einem gewissen Maße abzuschrecken, um die Studierendenzahlen im überschaubaren Rahmen zu halten?

Seidler: Ich glaube nicht daran, dass das funktioniert. Es sollte abschreckend gegenüber deutschen Studierenden wirken, ja. Und das finde ich schlimm. Ich finde es auch schlimm, dass der Ansturm ausländischer Studierender als Drohung dargestellt wird. Das geht gar nicht. Es ist vollkommen egal, ob die Studenten aus Deutschland, aus der Türkei, oder aus China kommen. Wir reden immer über die besten Köpfe, die wir ans Land ziehen wollen und gleichzeitig rufen alle: "Hilfe, die Deutschen kommen!"

derStandard.at: An anderen Unis gibt es in der Studieneingangsphase nur eine Prüfungswiederholung. Warum haben Sie sich entschlossen, einen zweiten Prüfungsantritt zu erlauben?

Seidler: Wir rennen von einem Extrem ins andere. Normalerweise haben wir fünf Prüfungsantritte und in der Eingangsphase dann diesen vorgesehenen einen Antritt. Das ist einfach nicht qualitätsfördernd. Man muss den Studierenden die Chance geben, sich in der Studieneingangsphase zu entwickeln. Deshalb ist für uns diese zweite Wiederholung so wichtig.

derStandard.at: Sind Sie froh über jeden Studierenden auf der TU?

Seidler: Wir sind über jeden richtigen Studierenden froh. Wir haben relativ hohe Drop-out-Quoten. Schade ist es um jeden, der die Uni aufgrund schlechter Rahmenbedingungen verlässt, der Talent hat, aber auf Grund äußerer Umstände das Haus verlässt.

derStandard.at: Was muss die derzeit diskutierte Studienplatzfinanzierung erfüllen?

Seidler: Das Modell muss auf verschiedene Bedürfnisse eingehen. Die Studienrichtungen verursachen unterschiedliche Kosten. Ein recht plakatives Beispiel ist die Ausfinanzierung eines Studienplatzes auf der medizinischen Universität im Vergleich zu einer Publizistik-Ausbildung. Die Kosten sind nicht vergleichbar. Wir an der TU müssten mehr Geld bekommen als etwa geistes- oder sozialwissenschaftliche Studienrichtungen. Das System würde so teuer werden, dass sich die Republik das nicht leisten könnte. Die Studienplatzfinanzierung wird zwar diskutiert, aber tatsächlich müsste es eine Kapazitätsdiskussion sein – und die wird leider gar nicht geführt.

derStandard.at: Beschränkungen der Studienplätze fordert auch WU-Rektor Christoph Badelt. Er klagt jetzt sogar, weil der WU jährlich 64,6 Millionen Euro zusätzliche Mittel im Budget fehlen. Könnte die TU bei einer solchen Klage mitziehen?

Seidler: Nein. Das Anrufen der Schiedskommission von Badelt beruht darauf, dass die WU in der Leistungsvereinbarung gewisse Kapazitäten vereinbart hat. Das Ministerium ist zur Erfüllung dieser Vereinbarungen verpflichtet. Tatsächlich hat die WU vielmehr Studierende, als Kapazitäten festgeschrieben sind. Herr Badelt hat das strategisch ausgesprochen clever gemacht. Ich vermute im Ministerium wird das nie wieder passieren. Wir haben diese Kriterien leider nicht in der Leistungsvereinbarung verankert.

derStandard.at: Bei solch hitzigen Debatten denken viele auch an die Wiedereinführung von Studiengebühren. Wie stehen Sie dazu?

Seidler: Ich habe mit Studiengebühren ein Problem, ein massives. Hier in Österreich sehe ich das Thema immer verknüpft mit irgendwelchen politischen Debatten. Das Thema Studiengebühren wird von der Politik missbraucht. Studiengebühren sind letztendlich auch kein Instrument, das der Staat anwenden kann, um im Bildungswesen zu sparen. Wenn man Studiengebühren einführt, muss man auf der anderen Seite das Stipendiensystem ausbauen. Das wird finanziell ein Nullsummenspiel.

derStandard.at: Die Rektoren schließen sich zur Universitätenkonferenz (uniko) zusammen, um ihre Interessen durchzusetzen. Haben sie eine starke Stimme?

Seidler: Die Vergangenheit lehrt uns, dass das nicht der Fall ist. Wir haben das Problem, dass durch die Autonomie der Universitäten die Interessenslagen nicht immer so einfach unter einen Hut zu bringen sind. Gerade im letzten halben Jahr ist aber viel mit einer Stimme gesprochen worden: wenn es um die Forderungen bei der Studieneingangsphase oder bei der Studienplatzfinanzierung gegangen ist. Ich habe dennoch nicht den Eindruck, dass wir Gehör gefunden haben.

derStandard.at: Mit Karlheinz Töchterle ist ein ehemaliger Rektor nun Wissenschaftsminister. Wird das helfen?

Seidler: Im Grundverständnis ja. Inwieweit er sich durchsetzen wird, Geld zu erhalten, ist schwer abzuschätzen.

derStandard.at: Sie meinten einmal, dass Frauen logischer denken. Wird sich die Stimmung ab Herbst ändern, wenn mehr Frauen in der uniko vertreten sind?

Seidler: Das war eine kleine Provokation. Aber ich bin schon der Meinung: wir sind rationaler. Auch wenn uns das nicht immer zugetraut wird. Die Stimmung in der uniko wird sich ändern. Das Sozialverhalten in gemischten Gruppen ist ein anderes. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 4.7.2011)