"Die Entführung der Europa" als Zehn-Minuten-Story: Stefan Reichmann als Zeus in der Regie von Titus Hollweg.

Foto: Neumüller

Ossiach - Einiges ist beim Carinthischen Sommer heuer anders. So wird beispielsweise erstmals der bisher eher verpönte Alban-Berg-Saal der Carinthischen Musikakademie genutzt - gegen teure Miete, worüber sich Thomas Daniel Schlee, der Intendant des Kärntner Festivals, grämt.

Aber: Es ist bestens investiertes Geld, der Saal wie gemacht für Titus Hollwegs leichtfüßige Inszenierung dreier Minutenopern des 1974 in Genf verstorbenen französischen Komponisten Darius Milhaud, mit denen Ossiach am Montag, heftig umjubelt, in den Sommer gestartet ist.

Der befreite Theseus, Die Entführung der Europa und Die verlassene Ariadne (Text: Henri Hoppenot) verdichten griechische Mythologie zu rasanten Zehn-Minuten-Storys, ein aberwitziger (und klangsinniger wie -sinnlicher) Reader's-Digest-Gegenentwurf zu Wagner-Opern, jeder Takt eine neue Emotion, ein neuer Gedanke, d-Moll für den aufbrausenden Hippolytos, F-Dur für die Koserei zwischen Europa und Zeus.

Das Orchester - präzis die Camerata Schulz unter der Leitung von Emanuel Schulz - sitzt auf der Bühne; der Chor, aus dem sich die Solistinnen (Claudia Guarin, Judith Halász, Heidi Manser) und Solisten (Sebastian Huppmann, Stefan Reichmann, Steffen Rössler, Steven Scheschareg) herauskristallisieren und bestens bei Stimme sind, tänzelt und kämpft und kriecht und liebt sich, choreografiert von Paul Zelichal, auf einem Catwalk mitten durchs Publikum.

Betörend schlicht Gabriele Attls Ausstattung. Ein weißer Futon markiert die griechische Arena; die Kostüme sind aus weißem Papier, mitunter blutbefleckt. Zeus' Stiermaske scheint wie von Kinderhand gebastelt, Theseus trägt sein Boot als Papierschiffchen um die Hüften und - wenn er nicht wie die anderen schönen Helden und Götter seinen nackten Oberkörper zeigt - einen Plastikbrustpanzer aus dem Spielzeugladen.

Nach der Sommernachtpause dann in der Stiftskirche Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Es ist auch die Rückkehr zu einem Sujet, das zur Mythologie Ossiachs gehört: Mit der österreichischen Erstaufführung von Benjamin Brittens Der verlorene Sohn festigte das Festival 1975 die Tradition der Kirchenoper.

Nun ist Milhauds Rückkehr des verlorenen Sohnes aber keine Kirchenoper, sondern eine Kantate für fünf Singstimmen und 21 Instrumente, die Milhaud 1917 nach einem Text seines Freundes und Literaturnobelpreisträgers komponiert und die Hollweg nun szenisch aufbereitet hat.

Ein riskantes, ein gelungenes Unterfangen, ohne Weihrauch in den Stimmen; ohne Andachtsprozessionen durchs Kirchenschiff; ohne Singen von der Kanzel herab. Mit Barockmusik nach Jean Baptiste Lully trennen Regisseur und Dirigent die fünf Sätze voneinander. Großartig die Sänger, Steffen Rössler als gütiger Vater in Hauspatschen und Strickweste, der heimkehrende Sohn (Bariton Sebastian Huppmann) im löchrigen T-Shirt. Steven Scheschareg als älterer Bruder demonstriert biedere Selbstgerechtigkeit mit scharfem Bariton und weiß gestärktem Hemd, der jüngere (Tenor Marian Olszewski) mit Kopfhörern seine Sehnsucht, die Familie zu verlassen.

Einziger Wermutstropfen: Götter & Söhne steht nur noch zweimal, am 26. Juli und am 9. August, auf dem Sommerprogramm. (Andrea Schurian/DER STANDARD, Printausgabe, 13. 7. 2011)